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Grundsätzliches zum Bereich "Erzählen"
Wir haben schon versucht, fiktionale Texte von der Situation und der Schreibhaltung her zu bestimmen. Wir sind dabei auf eine Menge Schwierigkeiten gestoßen, da es nicht ganz einfach ist, die Situation, in die hinein erzählt wird, als "Kommunikationssituation" im üblichen Sinn zu bestimmen. Die Probleme rühren vor allem daher, daß in dieser Situation kein "Redegegenstand" existiert, sondern daß dieser Redegegenstand erst im Verlauf der Kommunikation entsteht, genauer gesagt: durch den Text, der entsteht, konstituiert wird. Damit wird es auch problematisch, den "Zweck" des entstehenden Textes genauer zu bestimmen. In allen übrigen Situationen, die mit Texten zu tun haben, ist der Redegegenstand wesentlich mit am Zweck, dem der Text dient, beteiligt und damit auch an der Textkonstitution. In unserem Fall aber ist es eher umgekehrt. Je nach Textkonstitution entsteht ein Redegegenstand mit eigener Qualität. Wollen wir dennoch von einem "Zweck" eines solchen Textes, etwa einer Erzählung, sprechen, so können wir es zum einen aus dem Produktionsprozeß heraus versuchen (dann könnte z.B. von einer "Befreiung durch Schreiben" gesprochen werden). Aber es besteht auch die Möglichkeit, aus dem Rezeptionsprozeß heraus eine Bestimmung des Zweckes in Angriff zu nehmen. Dann könnte es in einer Erzählung darum gehen, einem Leser bzw. Zuhörer eine Handlung, ein Geschehen, einen Vorgang so vorzuführen, daß er sich in das Geschehen hineinversetzen, es nachvollziehen bzw. miterleben kann. Aber mit dieser Bestimmung des Zwecks bleibt Wesentliches noch ungesagt. Wir müssen erweitern um einen ganz wesentlichen Gesichtspunkt: Es geht nicht in erster Linie um eine Information über ein Geschehen, sondern um den Leser, der durch den Text "unterhalten" werden soll im weitesten Sinne. Gelegentlich kann eine Erzählung dann auch in einer Diskussion verwendet werden. Sie kann u.U. auch vorführen, wie es sein könnte, oder sie kann erläutern und dokumentieren. Schließlich können erzählende Texte auch eingesetzt werden, um Leser/Hörer zu belehren, um ihnen wichtige Erkenntnisse anschaulich vorzuführen oder um eine Einsicht, einen Grundsatz usw. einem Leser nahezubringen. Generell aber haben wir zu beachten, und das kann nicht oft genug betont werden, daß der "Inhalt" einer Erzählung nur d durch die Erzählung selbst existiert und damit ganz vom Autor eines Textes abhängig ist.
Nun können wir erste didaktische wie pädagogische Leitlinien fixieren, die unser unterrichtliches Handeln begründen, an denen wir dann auch unsere Arbeit ausrichten können.
1 Wir können die Schüler in die Lage versetzen, eigene (Phantasie-)Welten zu schaffen und damit auch zu erproben. 2 Die Schüler werden in die Lage versetzt, ihren träumen, Wünschen usw. Gestalt zu verleihen und gleichzeitig auch eine mehr und mehr real orientierte Phantasie zu entfalten. 3 Die Schüler erlernen "Techniken", Erlebtes bewußt gestaltend aufzuarbeiten, "erträumtes" mit der Lebenswirklichkeit zu konfrontieren und beides dann auch aneinander zu messen. 4 Anhand ihrer eigenen "Produktionen" erkennen die Schüler die prinzipielle Machbarkeit und Gestaltbarkeit von Welt unter bestimmten Setzungen. 5 Durch die Entfaltung ihrer kreativen Möglichkeiten gewinnen die Schüler eine größere Flexibilität beim Handeln in ihrer eigenen Welt. 6 Die Steigerung der sprachlichen Kompetenz hat eine Steigerung der Handlungsmöglichkeiten in der Welt zur Folge, da a)Eine gesteigerte sprachliche Kompetenz eine Steigerung der Fähigkeit, Welt zu durchschauen zur Folge hat und b)eine gesteigerte sprachliche Kompetenz gleichbedeutend ist mit einer Steigerung der Möglichkeiten, in der Welt und auf die Welt hin zu wirken.
Fraglich bleibt nun aber, ob all das, was hier als hohe Ziele konzipiert wurde, auch tatsächlich der Realität standhält und vor allem, ob es überhaupt möglich ist, ob etwas so Subtiles, wie das Erfinden eines Stoffes oder das Erzählen einer Geschichte zu lehren. Schauen wir uns also das Gegenstandsfeld, um das es hier geht, etwas genauer an.
1 Zur Textsyntax (Gliederung der Texte)Beim mündlichen Erzählen geschieht vieles spontan. Es wird erzählt, wie der Augenblick es eingibt und die Situation es erfordert. Bisweilen wird da wenig gegliedert, da man beim Erzählen mehr von der Unmittelbarkeit der Situation, von den Reaktionen der Zuhörer ausgeht und auf solche Reaktionen selbst wieder unmittelbar erzählerisch reagieren kann. Beim schriftlichen Erzählen nun haben wir es mit einer veränderten Situation zu tun. Nicht nur, daß wesentliche Kanäle, die beim mündlichen Erzählen zur Verfügung stehen, hier fehlen, so die Intonation, die Sprechgeschwindigkeit, Gestik, Mimik usw., wir haben auch den Zuhörer nicht unmittelbar vor uns, wir können seine Reaktionen nicht überprüfen und müssen also bei m Kozipieren unserer Erzählung von einem "idealen Zuhörer" ausgehen, den wir uns vorstellen. Nun lassen sich für das schriftliche Erzählen viele Möglichkeiten des Gliedern entwickeln und erproben. Wir werden es aber immer mit drei oder vier Gestaltungsschwerpunkten zu tun haben, die annähernd in jeder Erzählung eine Rolle spielen. Diese Gestaltungsschwerpunkte sind:
1. Die Ausgangslage - Handlungsort und -zeit - Geschehensträger - wichtige Gegenstände und Umstände werden hier vorgestellt.
2. Der Geschehensablauf (er ist auf ein Erzählziel gerichtet) wird bestimmt - durch die Handlungsauslösung, die sich aus der Ausgangslage herausentwickelt, - durch den Handlungsablauf, der wiederum in einzelne Erzählschritte gegliedert ist (Erzählschritte lassen sich bestimmen vom Ortswechsel her, vom Ab- bzw. Auftreten einer Figur her, vom Unterbrechen des Zeitflusses, von der Veränderung der mitwirkenden Gegenstände her und von der Veränderung bestimmter Umstände (z.B.:Wetteränderung) her
3.Das Erzählziel Als Erzählziel könnte in Frage kommen: - Das Ende eines bestimmten Zeitabschnitts, - das Resultat einer Handlung, eines Geschehens, - der Umschlag bzw. Wendepunkt einer Handlung - die Lösung eines Konflikts, - eine Pointe, - eine Lehre. - ... 4.Die Schlußphase einer Erzählung kann mit dem Erzählziel zusammenfallen. Es kann aber auch eine Abrundung, eine Lehre, eine Schlußwendung am Ende stehen oder ein Ausblick oder aber das Geschehen bzw. Erleben selbst klingt aus, zerläuft gewissermaßen in einer allgemeinen, offenen Sentenz ("...das ist ein zu weites Feld."). Gelegentlich kann man auch den Schluß bewußt offen lassen.
2 Die InhalteGegenstand des Erzählens ist ein Vorgang, eine Handlung, ein Geschehen. Dieses Geschehen kann frei erfunden, es kann aber auch erlebt sein. Ist es erlebt, so kann man es ausschmücken, erweitern, neu anordnen, man kann dazuerfinden oder weglassen, denn es geht nicht darum, s achgenau zu informieren, sondern spannend zu erzählen und damit zu unterhalten. Dennoch dürfen wir nicht willkürlich mit den Inhalten umgehen. Man kann da folgende allgemeine Gesichtspunkte angeben, die gewisse Richtlinien für die Entfaltung der Inhalte einer Erzählung darstellen. a)Soll der Leser die Handlung bzw. das Geschehen nachvollziehen können, so muß man ihn informieren über die Ausgangslage, d.h.: die wichtigsten "W-Fragen" werden zu beantworten sein. Dabei geht es um die Darstellung der Zeit und des Ortes des Geschehens. Die Beteiligten und deren wichtigste Eigenschaften müssen vorgestellt werden, aber auch die besondere Art und Weise des Geschehens. Natürlich wird man gelegentlich bewußt einige Informationen zurückhalten, um Spannung zu erzeugen. Man wird bei der Einführung einer Figur schrittweise vorgehen können und wichtige Umstände gegebenenfalls vorläufig verschweigen usw. b) Soll der Leser die Handlung nachvollziehen können, so muß man ihm die Handlungsentwicklung verstehbar vorführen, d.h. es muß gesagt werden, welchen Anteil am Geschehen die einzelnen Beteiligten haben. Ihre Motive müssen offengelegt werden, ebenso die Gründe und Ziele ihres Handelns. Der Ansatz und die Entwicklung des Geschehens müssen nachvollziehbar werden. Dabei ist Folgerichtigkeit angebracht, d.h. die Erzählschritte müssen in einer sinnvollen Abfolge angeordnet sein. Das heißt nicht, daß es nur eine g ültige Reihenfolge für die Abfolge der einzelnen Darstellungsteile gebe. Der Geschehensablauf muß in einer sinnvollen Reihenfolge dargestellt werden. Allerdings ist man nicht gezwungen, hier die zeitliche Reihenfolge exakt einzuhalten. Es ist sehr wohl möglich, zu kontrastieren, zu verzögern, vorauszudeuten, zurückzuschauen, gelegentlich auch mal in die Irre zu führen.
3.Erzählerische Mittel: AnschaulichkeitWenn es also bei der Erzählung nicht so sehr darum geht zu informieren, sondern zu unterhalten, dann kommt es weniger darauf an, was gesagt wird, sondern vielmehr darauf, wie es dem Leser nahegebracht wird, m.a.W.: die Darstellungsmittel gewinnen eine besondere Bedeutung. Da der Leser die Handlung nachvollziehen soll, wird es besonders wichtig, ihm einzelne Handlungsteile besonders anschaulich darzustellen. Soll er sich in das Geschehen hineinversetzen können, so ist es weniger günstig, etwas zu benennen, besser ist es da, darzustellen, das heißt also z.B., Gefühlsregungen, wie Freude, Ärger, Wut sollte man nicht einfach benennen (er freute sich, er ärgerte sich, er war wütend...), sondern man sollte darstellen, worin sich jeweils die innere Verfassung äußerlich zeigt, und damit dem dem Leser vor Augen führen, was tatsächlich geschieht: Er wurde rot vor Ärger, er sprang in die Luft vor Freude, er ballte wütend beide Fäuste... Was für die inneren Vorgänge gilt, gilt in ähnlicher Weise auch für äußere Abläufe: Auseinandersetzungen sollte man direkt "in Szene setzen" (szenisches Erzählen) und sollte sie in direkter Rede wiedergeben. Hier wird man besonderes Augenmerk auf die jeweiligen Einleiteformeln verwenden. Schließlich handelt es sich nach wie vor, auch wenn wir einen Dialog wiedergeben, um eine Erzählung. Und die erzählerische Distanz wird besonders in der Einleiteformel der direkten rede deutlich. Es lassen sich verschiedene Arten solcher Redeeinleitungen unterscheiden: -neutral: sagte er, meinte er... -die Funktion im Dialog bezeichnend: antwortete er, erwiderte er.. -die Art und Weise des Sprechens bezeichnend: murmelte er, schrie er, flüsterte er... -inhaltlich über Absichten, Stimmungen usw. informierend: "wie konntest du nur!" entsetzte er sich... Was für das Sprechen nach außen hin gilt läßt sich in gleicher Weise für das Denken, Planen und Fühlen und sagen: Wir haben im "innere Monolog" die Möglichkeit, den Leser in eine handelnde Figur hineinhören zu lassen. Natürlich wird man nicht schon im fünften Schuljahr die verschiedenen Stufen der erzählerischen Darstellung solcher innerer Gedankenbewegungen behandeln, aber die unmittelbare Form des inneren Monologs, die Wiedergabe als "wörtliche Rede", läßt sich ohne größere Probleme einführen.
4. PerspektiveWenn wir erzählen, stehen wir an einem bestimmten Ort, der das "Ich-Jetzt-Hier" markiert, an einem Ort also, von dem aus die gesamte Erzählung ihre "Perspektive" erhält. Erzählen setzt einen Erzähler voraus, der aus einer bestimmten Perspektive erzählt. Die Perspektive sollte man bewußt wählen und dann bedenken, was der Erzähler aus der gewählten Perspektive wissen kann, wie sich ihm die Welt darstellt usw. So kann man in der Er-Form schreiben oder in der Ich-Form. Davon ist schon einmal abhängig, was der Erzählende wissen kann und was nicht. Der Ich-Erzähler, sofern er unmittelbar im Geschehen steht oder von ihm betroffen ist, weiß meist weniger als ein Er-Erzähler. Der Er-Erzähler kann anonym oder im Hintergrund bleiben, er kann aber auch als beteiligte Figur auftreten. Es ergeben sich drei bzw. vier grundlegende Formen des Erzählens: -Allwissender Erzähler: Oft ganz unbeteiligt, mit großem Wissen und Überblick; kann kommentieren und vorausschauen. -Ich-Erzähler: erzählt als ein am Geschehen Beteiligter. Er kann nur so viel wissen wie die handelnde Figur an der jeweiligen Stelle weiß. Er sieht die Dinge mit den Augen und aus dem Blickwinkel der Beteiligten. -Ich-Erzähler, der im Rückblick als beteiligte Figur erzählt. Er kann jetzt aus seiner Erfahrung sprechen und kommentieren, kann, da er zurückblickt auch beurteilen. Er nähert sich mehr und mehr dem allwissenden Erzähler. - Schließlich sei auch das personale Erzählen in Erinnerung gerufen. Auch da ist, ob er sich nun zu erkennen gibt oder nicht, ein Erzähler vorhanden. Natürlich können diese einzelnen Perspektiven auch gemischt werden. Es sind eine Vielzahl von Mischformen denkbar, die d ann aber recht kompliziert sind. Ich denke, wir sollen uns auf die genannten Formen konzentrieren, eine Form für den konkret anstehenden Fall auswählen und diese dann nicht ohne Grund wechseln.
5.Tempus
Wenn man erzählt, so ist das in der Fiktion Entstehende gedacht als etwas, das schon zurückliegt." Geschichte" hängt mit "Geschehen" zusammen. Und so ist die Frage nach dem Tempus des Erzählens schnell beantwortet. Am häufigsten verwendet man das Präteritum als die geeignete Zeitform. Beim mündlichen Erzählen allerdings verwendet man meist das Perfekt. Will man beim schriftlichen Erzählen mündliches Erzählen nachahmen, dann is t es sehr wohl sinnvoll, im Perfekt zu erzählen. (In beiden Fällen verwendet man das Plusquamperfekt für die Darstellung von Vorgängen, die zum Zeitpunkt des erzählten Geschehens schon vergangen waren. Gelegentlich wird man, um es besonders spannend zu machen, aus dem Präteritum ins Präsens wechseln, um den Eindruck der Unmittelbarkeit noch zu verstärken.
6. Zur Frage der Spannungserzeugung
Spannung und Unterhaltung hängen eng miteinander zusammen. Wer erzählen will, will unterhalten, und er hat die Möglichkeit, über den Weg der Erzeugung von Spannung zu unterhalten. (Das bedeutet allerdings nicht, daß die Erzeugung von Spannung die einzige Möglichkeit wäre zu unterhalten. Der gesamte Bereich des schildernden Darstellens kommt weitgehend ohne Spannung aus.) Das Erzeugen von Spannung ist auf zwei Ebenen möglich: einmal auf der Inhaltsebene, dann aber a uch und vor allem auf der formalen, der Gestaltungsebene. Welche dieser beiden Ebenen vorzuziehen ist, ist schwer zu entscheiden. Es ist sehr wohl möglich einen nichtssagenden Inhalt so spannend darzustellen, daß der Inhalt selbst fast völlig in den Hintergrund tritt. Beispiel: Ick sitze da und esse Klopps, uff eenmal klopp's Ick staune, stutze, wundre mia, uff eenmal jeht se uff, de Tüa. Nanu, denk ick, ick denk nanu? Jetzt is se uff, erst wa se zu. Ick jehe raus un kieke, un wer steht draußen? Icke.
Welche Mittel werden hier eingesetzt? a)Auf der Inhaltsebene wird Spannung dadurch erzeugt, daß bestimmte Informationen gegeben, andere aber vorenthalten werden. Aus der Diskrepanz von Wissen und Nichtwissen entsteht der Wunsch, alles oder doch zumindest mehr wissen zu wollen. Es entsteht also Spannung auf den weiteren Verlauf und auf die Auflösung. b)Spannung kann man erzeugen, indem man den Leser an den Reaktionen der handelnden Figur beteiligt: ick staune, stutze, wundre mia... c)Spannung kann man erzeugen, indem man Fragen stellt: und wer steht draußen? d)Spannung kann man erzeugen, indem man Wendungen benutzt, die das plötzliche Eintreten von etwas Neuem signalisieren: auf einmal... e)Spannung kann man erzeugen, indem man mitten im Satz abbricht: ...er nahm Ablauf, sprang ab, und - ich wagte schon nicht mehr hinzusehen - aber da war es schon geschehen... f)Spannung kann man erzeugen bzw. steigern, indem man unmittelbar vor dem Höhepunkt und der Auflösung nochmals verzögert (Retardierung)
Wenn ich hier auch einiges im Überblick dargestellt habe, so muß doch nochmals betont werden, daß es nicht zu empfehlen ist, all die genannten Gesichtspunkte im Rahmen einer einzigen Sequenz vorzuführen und zu behandeln. Wir werden jeweils Schwerpunkte setzen müssen. Allerdings soll auch darauf hingewiesen werden, daß etwas, das einmal behandelt worden ist, in Zukunft wiederholt und als bekannt vorausgesetzt werden kann. Das bedeutet: Es wird in Zukunft in den allgemeinen Kriterienkatalog bei der Bewertung der jeweiligen Aufsätze aufgenommen. |
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