Natürlich werden Sie sagen: eigentlich
überflüssig, aber nun ja...
Vielleicht haben Sie - ein wenig zumindest - recht. Aber trotzdem,
irgendwann werden Sie sich auch mal fragen: Was -um Gottes Willen - soll
ich denn auswählen? Und: wozu das alles überhaupt?
Eben. Und schon wird's didaktisch, genauer: fachdidaktisch, denn mit
der allgemeinen Didaktik verhält es sich wohl wie mit den berühmten
Spiegeln, die sich ineinander spiegeln. Sie bleiben, das sagt jedenfalls
Goethe, leer.
Aber, werden Sie einwenden, dafür haben wir doch unsere Lehrpläne,
oder seit neuestem unsere "Bildungsstandards". (Sie sehen richtig: Ich
schreibe diese Undinger mit Gänsefüßchen.)
Lehrplan hin oder her - letztlich sind Sie verantwortlich für das,
was in Ihrem Unterricht geschieht. Und außerdem: Die Lehrpläne sind
nicht auf Sinai entstanden (auch wenn manche Ministerialbürokraten so
tun, als ob...). Sie sollten also schon nachdenken über die Ziele Ihres
Tuns. Ich schlage Ihnen vor: Orientieren Sie sich dabei an Leuten wie
Heinrich Roth. (Sind schon etwas älter, aber dafür auch verlässlich!)
Hier finden Sie die Zielvorstellungen Roths als Schema und verkürzt.
(Sollte Ihnen einiges bekannt vorkommen: Richtig, die Einheitlichen
Prüfungsanforderungen für das Abitur -EPA - erinnern in ihren
Lernzielebenen an das hier Vorhandene...)
Nun bin ich Ihnen wohl doch eine Definition meines Begriffs von
"Bildung" schuldig. Nun denn, versuchen wir's:
Der Begriff "Bildung" stehe vorläufig für
die Summe aller Fertigkeiten, Fähigkeiten, Kenntnisse und Einstellungen,
die der Mensch braucht, um sein Leben (heute wie in der Welt von morgen)
human und in Würde leben zu können.
Whow! Und wo bleibt PISA ? Vergessen Sie's.
"Aha, Humboldt!" werden einige ausrufen. Richtig. Na, und?
Wenn Sie es etwas ausführlicher wollen: Bitteschön.
Mein Freund Bernd Balg hat sich da einige Gedanken gemacht.
(Sie waren ursprünglich für einen Studientag vorgesehen, aber "man"
wollte sie dann dem Kollegium -eines altsprachlichen Gymnasiums !!-
nicht "zumuten".)
Aber Sie sollten sich selbst ein "Bild" machen! Hier
also: Bildung etwas ausführlicher:
Und wie kriegt man das alles auf Augenhöhe? Schließlich wollen wir ja
Unterricht machen und nicht über Didaktik dozieren. (Das tun andere
gerade zu Genüge!)
Erlauben Sie dass ich meinen zweiten didaktischen Schutzheiligen
anrufe: Klafki. Ich weiß, auch nicht gerade das Neueste. Aber schauen
Sie sich das an und erproben Sie es. Dann vergleichen Sie es z.B. mit dekonstruktivistischen
Ansätzen (sofern es da etwas zu vergleichen gibt).
Ich habe Klafkis Vorschläge auf eine knappe Form gebracht:
Didaktische Fragestellungen nach Klafki
1) Welchen größeren bzw. welchen allgemeinen Sinn-
oder Sachzusammenhang vertritt und erschließt dieser Inhalt? Welches
Urphänomen oder Grundprinzip, welches Gesetz, Kriterium , Problem,
welche Methode, Technik oder Haltung lässt sich in der
Auseinandersetzung mit ihm exemplarisch erfassen?
a. Wofür soll das geplante Thema exemplarisch, repräsentativ,
typisch sein?
b. Wo lässt sich das an diesem Thema zu Gewinnende als Ganzes oder
in einzelnen Elementen – Einsichten, Vorstellungen, Wertbegriffen,
Arbeitsmethoden, Techniken – später als Moment fruchtbar machen.
2) Welche Bedeutung hat der betreffende Inhalt bzw. die an diesem
Thema zu gewinnende Erfahrung, Erkenntnis, Fähigkeit oder Fertigkeit
bereits im geistigen Leben der Kinder, welche Bedeutung sollte er – vom
pädagogischen Gesichtspunkt aus gesehen – darin haben?
3) Worin liegt die Bedeutung des Themas für die Zukunft der Kinder?
4) Welches ist die Struktur des Inhaltes (durch die Fragen 1,2,3 in
die spezifische pädagogische Sicht gerückt)?
a. Welches sind die einzelnen Momente des Inhalts als eines
Sinnzusammenhangs?
b. In welchem Zusammenhang stehen diese einzelnen Momente? (logisch
eindeutig? Faktischer Wirkungszusammenhang?)
c. Ist der betreffende Inhalt geschichtet? (Hat er verschiedene
Sinn- oder Bedeutungsschichten?)
d. In welchem größeren sachlichen Zusammenhang steht dieser Inhalt?
Was muss sachlich vorausgegangen sein?
e. Welche Eigentümlichkeiten des Inhalts werden den Kindern den
Zugang zur Sache wahrscheinlich schwer machen?
f. Was hat als notwendiger festzuhaltender Wissensbesitz
(Mindestwissen) zu gelten, wenn der im Vorangegangenen bestimmte
Bildungsinhalt als angeeignet, als „lebendiger“, „arbeitender“ geistiger
Besitz gelten soll?
5) Welches sind die besonderen Fälle, Phänomene, Situationen,
Versuche, in oder an denen die Struktur des jeweiligen Inhaltes den
Kindern dieser Bildungsstufe, dieser Klasse interessant, frag-würdig,
zugänglich, begreiflich, „anschaulich“ werden kann?
a. Welche Sachverhalte, Phänomene, Situationen, Versuche,
Kontroversen usw., m.a.W.: „Anschauungen“ sind geeignet, die auf das
Wesen des jeweiligen Inhaltes, auf seine Struktur gerichtete
Fragestellung in den Kindern zu erwecken, jene Fragestellung, die
gleichsam den Motor des Unterrichtsverlaufes darstellen muss?
b. Welche Anschauungen, Hinweise, Situationen, Beobachtungen,
Erzählungen, Versuche, Modelle usw. sind geeignet, den Kindern dazu zu
verhelfen, möglichst selbständig die auf das Wesentliche der Sache, des
Problems gerichtete Fragestellung zu beantworten?
c. Welche Situationen und Aufgaben sind geeignet, das am
exemplarischen Beispiel, am elementaren „Fall“ erfasste Prinzip einer
Sache, die Struktur eines Inhalts fruchtbar werden, in der Anwendung
sich bewähren und damit üben (- immanent wiederholen - )zu lassen?
(Nach: Wolfgang Klafki: Die didaktische Analyse als Kern der
Unterrichtsvorbereitung; in: Heinrich Roth, Alfred Blumenthal (hrsg.):
Auswahl; grundlegende Aufsätze aus der Zeitschrift Die deutsche Schule;
Schroedel, Hannover 1964, S.15-22)