Fantasieerzählung

 

Home
Didaktik
Methodik
Modelle
Zur Person
Coaching
Veröffentlichungen

Zur Didaktik

 

1    Zum Begriff

1.1  Versucht man, den Begriff "Fantasieerzählung definitorisch etwas genauer zu erfassen, so kann man recht  schnell in Schwierigkeiten geraten. Auch die Lehrpläne geben da recht verschiedene  und u.U. sogar gegensätzliche Merkmale für die entsprechenden Texte an. Das Spektrum kann reichen von der reinen Fantasterei an der grenze zum Unsinnstext bis hin zur Realutopie, die eigentlich n ur deshalb noch nicht Wirklichkeit geworden ist, weil bisher noch keiner auf die Idee kam, etwas dergleichen zu erproben und so zu ver-wirklichen. Wir werden uns hier nicht um die Quadratur des Kreises bemühen und versuchen, einen präzise abgegrenzten Begriff an den Anfang unserer Überlegungen zu stellen versuchen.

1.2  Vorläufig mag es genügen, wenn wir mit einer offenen Definition beginnen, die sich dann im Rahmen der weiteren Überlegungen mehr und mehr konkretisiert, ohne dabei eine Endgültigkeit anzustreben, die als allzu starre Festlegung verstanden werden könnte. So wollen wir vorläufig unter der Fantasieerzählung einen fiktionalen Text verstehen,

- dessen Handlung frei erfunden ist,

- dessen Handlung nach eigenen Gesetzen unabhängig von der "Realität" abläuft;

- der dennoch in gewisser Weise glaubwürdig erscheint.

2   Ziele

Schon von diesen Grundgegebenheiten her können wir erste Zielvorstellungen entwickeln, die zumindest die beiden Bereiche "Verhältnis zur Wirklichkeit" und "Beherrschung von Erzähltechniken" betreffen.

Wenden wir uns zunächst diesen beiden Zielbereichen zu.

2.1 Gerade wenn wir die Entwicklung des Stoffes völlig von der Fantasie des erzählenden Kindes abhängig machen, können wir Grundstrukturen und -techniken des Erzählens besonders einleuchtend darstellen und erarbeiten. So wird  es jetzt möglich, unabhängig von irgendeiner Rückbindung an Wirklichkeit den Spannungsaufbau eben nach eigenen Gesetzen zu erarbeiten und Handlungselemente diesem Spannungsaufbau unterzuordnen, ohne daß gefragt werden muß: "Ist das in der Wirklichkeit tatsächlich so abgelaufen?"

Weiterhin wird es jetzt möglich, Konsequenzen einer bestimmten Erzählperspektive erfahrbar  zu machen. Es wird nun möglich, aus allen möglichen Perspektiven ein Geschehen zu verfolgen, denn man ist nicht mehr gebunden an die Frage "Ist es überhaupt denkbar/möglich/wahrscheinlich, daß  dieser oder jener Aspekt als "Erlebenszentrum" die Perspektive bestimmen kann?" Vielmehr erlaubt es nun die Grundgegebenheit der Verschiebung gegenüber der Realität, jede Perspektive, jeden Ort und jede Zeit als den Ich-Jetzt-Hier-Standort zu bestimmen, von dem aus wahrgenommen und erzählt  wird.

2.2  Zum Verhältnis der Kinder zur Wirklichkeit

Angesichts der heutigen Lage können wir zwei Tendenzen beobachten: Zum einen erfahren die Kinder in Anlehnung an ihre Vorbilder, die Erwachsenen, täglich die "normative Kraft des Faktischen", sind sogenannten Sachzwängen ausgesetzt, denen sie ihr Leben mehr und mehr unterordnen müssen. Die Wirklichkeit ist eben nicht so, und dem einzelnen bleibt nichts übrig, als sich möglichst schnell an sie anzupassen. Die gegenläufige Tendenz: Gerade diese stark pragmatisch-merkantil orientierte Wirklichkeit bietet Fluchträume an, in denen noch so etwas wie Freiheit empfunden werden kann. Das ist zum einen der Bereich des Konsums und zum andern der Bereich der Freizeitgestealtung, wobei gerade die Freizeitgestaltung mehr und mehr in Richtung einer Entfremdung läuft. Denken wir hier  etwa an die großen Markterfolge der Game-Boys, der Video-Spiele, der Computerspiele und der Videofilme, so wird klar, was ich meine. Im Grunde dienen diese Fluchträume nur dazu, die übrige, täglich bedrängende, normierende und normierte Wirklichkeit unbefragt als unbefragbare hinzustellen, sie so, wie sie ist, zu akzeptieren und sich ihr klaglos unterzuordnen. Hier läßt sich ein wichtiges pädagogisches Ziel ausmachen, für dessen Erreichen die Schreiberziehung, und hier die Fantasieerzählung, einiges tun kann bzw. könnte. Es geht genauer darum, fantastische, vielleicht auch fantasievolle Entwürfe zu erproben, Alternativen also der Realität entgegenzusetzen, die zwar keine Realisierungschance haben, die aber doch geeignet sind, bestimmte Bedingungen der sogenannten "unvermeidlichen Wirklichkeit" zu erkennen und sie damit der Reflexion und vielleicht auch der Veränderung zugänglich zu machen. Im konkreten Fall: Der Fantasieaufsatz "Plötzlich war ich Direktor unserer Schule" kann zwar zu einem fantastischen Konstrukt führen, gleichzeitig aber kann er Bedingungen, Gesetzmäßigkeiten und Räume für Willkür offenlegen und Möglichkeiten erkennbar machen, die sich bei aller Einengung durch Regeln und Verordnungen dennoch ergeben.

 

3   Textartspezifische Probleme

Mit den nun angedeuteten Zielvorstellungen verbinden sich natürlich ganz bestimmte Probleme, wie sie die jetzt ins Auge gefaßte Textart mit sich bringt.

3.1  Zwar soll die Handlung der Fantasieerzählung frei erfunden sein, allerdings muß sie doch im Rahmen der gesetzten Vorgaben als möglich erscheinen, das bedeutet: Die "Spielregeln", die für die Handlung gelten, müssen eingeführt, einsichtig dargestellt und anschließend auch eingehalten werden.

3.2  Wenn auch der Hintergrund des Geschehens "magisch" oder "märchenhaft-fantastisch" ist, so muß doch das Geschehen selbst in gewisser Weise "realistisch" dargestellt werden, d.h. die einzelnen Handlungsteile müssen im Rahmen der Vorgaben wahrscheinlich erscheinen. Die einmal gesetzten Regeln dürfen nicht, weil sich das zufällig so ergibt, überschritten, außer Kraft gesetzt werden.

3.3  In diesem Zusammenhang spielt die Perspektive und deren glaubwürdige Darstellung und Einhaltung eine große, wenn nicht die entscheidende Rolle.

- Vor allem wird es notwendig sein, zunächst einmal die Perspektive glaubwürdig anzulegen.

-Das wird am ehesten dadurch erreicht, daß die Konsequenzen, die sich aus der jeweiligen Perspektive ergeben, wohldurchdacht und strikt beachtet werden.

- Schließlich muß die Perspektive auch durchgehalten werden.

Im Unterricht werden wir vor allem darauf achten, daß eben nicht die auktoriale Erzählhaltung des allwissenden Er-Erzählers angewandt wird, sondern daß ein Ich, welches sich in die angenommene Situation hineinversetzt, vom eigenen Erleben erzählt.

 

4    Grundprobleme, die sich im Unterricht ergeben:

 

4.1  Orientierung an gespeicherten Lese- und Fernsehstoffen (Fan­tasy-Literatur u.dergl.)

Gegemaßnahmen:

a) Wir integrieren die Lesestoffe in den Unterricht und entwerfen Parallelgeschichten und Erweiterungen. Beispiel: Gigi in <MOMO> erzählt.

Auch ein Verändern der Perspektive bietet sich an. Beispiel: Der 'graue Herr' in <MOMO> erzählt von seiner ersten Begegnung mit Momo.

Auch die eigene Person kann in die Handlung eingesetzt werden. Beispiel: Ich kam der Biene Maja in einer brenzligen Situation zu Hilfe.

Man kann auch Parallel- bzw. Gegengeschichten ins Auge fassen. Beispiel: Pipi Langstrumpf in unserer Klasse.

b) Man hält die Themenstellung so eng, daß Rückgriffe nicht mehr möglich sind. Beispiel: Statt "Ich machte eine wichtige Entdeckung" könnte man als Thema geben: "Ich erfand einen Ausreden-Computer"

Hinweis: Man sollte das Problem der Übernahmen am Ende nicht zu eng sehen. Übernahmen, geschickt montiert, können recht reizvoll sein. Und außerdem: Wer klaut schon nicht?

4.2  Reine Übernahme von Märchenmotiven, ohne daß sie in den Handlungsverlauf integriert werden.

Gegenmaßnahmen:

a) Genauere Unterswuchung des Handlungsablaufs und der Handlungsmotivation. Dabei sollte an den entscheidenden Stellen überlegt werden: Läßt sich der neue Handlungsschritt aus dem bisherigen Ablauf bzw. vom Handlungsziel her begründen? Ist dies nicht der Fall, so könnte man fragen: Was muß noch in die Geschichte eingebaut werden, damit der neue Handlungsschritt auch ohne das Märchenmotiv sinnvoll und glaubwürdig erscheint?

b) Man erläutert den "Spielregel-Charakter" der Prämissen. Aus den in der Einleitung vermittelten Informationen, den Handlungsvoraussetzungen, dem Figureninventar und vor allem aus der gewählten Perspektive ergibt sich ein Rahmen, der für den Ablauf der Handlung bstimmte Festlegungen enthält, die nicht ohne weiteres mißachtet werden dürfen.

c)Märchenferne Themenstellungen wählen. Zumindest in der Formulierung des Themas sollte man Anklänge an Märchen vermeiden. So könnte man z.B. statt "Ich hatte drei Wünsche frei." formulieren: "Gestern ging mein größter Wunsch unverhofft in Erfüllung".

Hinweis: Es kann alerdings auch sehr reizvoll sein, bestimmte Märchenmotive weiter ausspinnen zu lassen und den Erzähler als Ich-Erzähler in die Handlung einzubauen. Beispiel: Ich wachte auf und war plötzlich ein Däumling.

 

4.3  Die Schüler zähle nkleine Einzelhandlungen auf, ohne sie einem besonderen Höhepunkt zuzuordnen.

Mit dieser Schwierigkeit haben wir in aller Regel auch bei den übrigen Formen des Erzählens zu tun. In der Fantasieerzählung aber taucht sie besonders häufig auf, da eben die Kinder zunächst einmal ihrer "Fantasie freien Lauf lassen" und so zu einer Vielzahl von Einfällen kommen, die nun noch recht unstrukturiert aneinandergereiht werden. Hier gilt es, helfend einzugreifen und die im Bereich der Zielformulierungen genannten Grundstrukturen des Erzählens (genauer: die Aufbaustrukturen) zu behandeln.

Als Gegenmaßnahmen bieten sich an:

a) Man sammelt zunächst einmal die Einzelhandlungen und überlegt:

Welche dieser Einzelhandlungen wäre geeignet für einen weiteren Ausbau?

b) Man versucht einen Höhepunkt zu fixieren.

c) Welche Teilschritte könnten zu diesem Höhepunkt führen? Welche Einzelhandlungen könnte man hier einbauen, ohne daß sie von der Linie hin zum Höhepunkt allzu sehr wegführen?

d) Könnte man die eine oder andere Teilhandlung als Verzögerung einbauen?

 

4.4  Ursachen und Gründe, Handlungsmotive werden nicht genügend ausgeführt. Die Vorgaben werden zu spät bzw. überhaupt nicht eingeführt und nur noch ad hoc benutzt (der "deus ex machina" wird überstrapaziert).

Auch hier liegen die Ursachen auf der Hand: Die Kinder glauben zunächst, Fantasieerzählung bedeute Willkür. Es fällt ihnen schwer, sich an einen Rahmen zu halten, auch wenn dieser Rahmen von ihnen selbst gesetzt wurde. Die Problem der Handlungsmotivation sind noch nicht behandelt, und entsprechend werden die Gegenmaßnahmen zu organisieren sein:

a) Man wird sich darum bemühen, gerade die Funktion der Einleitung, die den Rahmen für das ganze Geschehen festlegt, intensiver zu erörtern.

b) Man wird immer wieder Überlegungen anstellen: Welche Konsequenzen ergeben sich aus den festlegungen. Und umgekehrt: Wenn ich bestimmte Handlungen haben möchte, muß ich sie in irgendeiner Art und Weise vorher motivieren und begründen.

Hinweis: Auch hier sollte man den Kindern einen gewissen "Spielraum" lassen, zumindest bei den ersten Versuchen.

 

Ein letzter Hinweis zu all den genannten Schwierigkeiten und Problemen sei gestattet: Man sollte die Übernahmen ebenso wie die Rückgriffe auf Märchenmotive oder die Strapazierung des "deus ex machina" nicht überbewerten. Entscheidend sollte immer sein: Gefällt die Geschichte? Unterhält sie? Unter diesen Gesichtspunkten nur sollten wir verbessernd in die Texte der Kinder eingreifen.

Je weiter wir fortschreiten, umso mehr und intensiver können wir die Schüler an der Beurteilung ihrer Arbeiten beteiligen. Am Ende der Sequenz sollten sie in der Lage sein, auf der Basis der erarbeiteten Herstellungshinweise (das sind dann auch die Bewertungskriterien!) eigenständig die einzelnen Arbeiten zu beurteilen.