Gryphius

 

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2      Tragödie oder Trauerspiel? - Catharina  von Georgien

 

2.0    Erste Orientierungen

 

Sprache und Form des Dramas, das Sie nun in Angriff nehmen werden, sind für den heutigen Leser nicht ganz einfach. Hier einige Hilfen und Hinweise:

 

2.0.1 Hinweise

„Verstehen“

Wenn Ihnen das Verstehen einzelner Sätze etwas schwerer fällt, so sollten Sie einmal versuchen, diese Sätze laut zu lesen. (Wenn das auch beim ersten Mal nicht so recht klappt, so versuchen Sie es ruhig ein zweites oder drittes Mal!) Sie werden sehen: So wird es einfacher, die etwas kompliziert gebauten Sätze zu überschauen.

 

Der „Alexandriner“

Beim „Alexandriner“ handelt es sich um das im Barock bevorzugt verwendete Versmaß. Dabei geht es um einen sechshebigen Jambus (Wechsel von unbetonten und betonten Silben;12 Silben bei stumpfem/männlichem und 13 bei klingendem/weiblichem Reim) Wir finden  oft eine deutliche Teilung („Zäsur“) nach der dritten Hebung: damit wird ein antithetischer Aufbau der einzelnen Zeilen möglich. Beispiel: Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein...(Gryphius)

 

Erfassen des Inhalts

Lesen Sie den Text abschnittsweise. Sie können sich dabei an den Auftritten orientieren. Machen Sie sic h nach jedem Abschnitt klar, was    Sie gerade gelesen haben. Über den Inhalt der einzelnen Akte (Abhandelungen) orientert Sie Gryphius durch seine vorangestellten Zusammenfassungen. Die folgen Fragen könnten Ihnen helfen bei einer ersten Annäherung an einzelne Problemkomplexe.

 

2.0.2 Fragen zur Eröffnung

 

1        Der eröffnende Reyen

          a) Welche Aussagen enthält der Reyen zum „Orientierungsrahmen“, innerhalb dessen Verhaltensweisen zu beurteilen sein werden?

          b) Was erfährt man über die konkrete Situation der Königin?

          c) Wie wird diese Situation „bewertet“?

 

2        Im Dialog zwischen Demetrius und Procopius wird die „konkrete Lage“ vorgestellt und erörtert.

          a) Welche Faktoren bestimmen die Lage der Königin?

          b) Welche weiteren Aspekte ergeben sich für sie?

 

3        Wie sieht Catharina selbst ihre Situation? (Auftrittsmonolog I,228 ff.)

 

4        Die beiden Gesandten bringen eine wichtige Nachricht.

          a) Klären Sie den genauen Inhalt dieser Nachricht.

          - Wie steht es um Georgien und um Catharinas Sohn?

          - Wie kam es zu der Veränderung?

          b) Welche Wirkung hat diese Nachricht auf Catharina?

          Hinweis: Beachten Sie auch den Dialog  Salome-Catharina (I, 297 ff.) sowie die ihm folgende Szene.)

5        Ehe Chach Abas das erste Mal (I, 727) selbst auftritt, hat sich der Zuschauer schon ein Bild von ihm gemacht.

          - Notieren sie in Stichpunkten die wesentlichen Elemente, aus denen dieses Bild besteht.

          - Wie stellt sich der Chach selbst dar?

          - Beschreiben Sie die Absichten, die im Dialog mit Catharina erkennbar werden. Benennen Sie auch die Mittel, derer sich der Chach bedient.

          - Wie reagiert Catharina auf die einzelnen Strategien?

          - Beschreiben Sie genauer Catharinas Position, wie sie I, 805 ff. zum Ausdruck kommt.

 

6        Im Dialog zwischen Chach Abas und Seinelcan geht es vor allem um das Verhältnis zwischen Chach und Catharina.

          a) Was bedeutet Catharina  für den Chach?

          b) Wie schätzt er selbst Catharinas Charakter ein?

          c) Wie sieht Seinelcan das Verhältnis?

 

7        Zu welchem Ergebnis führt die Intervention des russischen Gesandten (II, 133 ff.)

 

8        Wie bewertet im folgenden Auftritt der Chach sein Nachgeben?

 

9        Im Monolog des Chach (II, 183 f) sowie im folgenden Dialog mit Seinelcan zeichnet sich ein Gesinnungswandel des Chach ab. Welche Gründe nennt der Chach?

          Wie wird im Reyen der von Chach Abas erwürgten Fürsten das Verhalten bewertet? Welche weitere Entwicklung wird hier angedeutet?

 

10      In der ersten Szene der dritten Abhandlung klärt Katharina den russischen Gesandten über die politische und kriegerische Vorgeschichte ihrer gegenwärtigen Lage auf. Versuchen Sie die Gesamtentwicklung im Zusammenhang darzustellen.

          -In welcher politischen Lage befand sich Georgien?

          - Wie kam Catharina (bzw. ihr Mann) an die Macht?

          - Wie geriet sie in die gegenwärtige Situation?

 

11      In seinem Monolog (III,394 ff) kündigt Chach Abbas seinen Wandel an:

          - Welchen Trick wendet er an, um sein gegebenes Versprechen (...sie soll vor abends frei sein...) einzuhalten und dennoch seinen Willen durchzusetzen?

          - Welche Argumente nennt er, die mögliche Bedenken zerstreuen sollen?

 

12      Die vierte Abhandlung wird mit einem Monolog Catharinas eröffnet.

          - Beschreiben Sie die herrschende Stimmung?

          - In welchen Zeilen kommt Catharinas Haltung ganz besonders deutlich zum Ausdruck?

 

13      Wie reagiert Catharina auf das von Imanculi überbrachte Angebot?

          Untersuchen Sie genauer, wie Catharina ihre Haltung begründet.

 

14      Im Dialog (IV, 180 ff) versucht Imanculi Catharina in ihrer Haltung zu erschüttern. Dabei greift er zunächst ihren Glauben an.

          - Welche Einwände bringt er vor?

          - Wie verteidigt sich Catharina?

          - Wie reagiert Catharina auf das Todesurteil?

          - Catharina scheint geradezu Freude zu empfinden (IV, 242 ff.). Wie ist das zu verstehen?

 

15      Der Reyen der Tugenden... wendet sich an die Zuschauer und bewertet noch einmal das Geschehen. Formulieren Sie diese Bewertung in eigenen Worten.

 

16      Serena berichtet in der fünften Abhandlung vom Sterben der Königin. Inwieweit wird da die bisherige Haltung der Königin bestätigt?

 

17      Wie reagiert Chach Abas auf den Tod Catharinas?

          Wie wird dem russischen Gesandten gegenüber der gesamte Vorfall dargestellt?

          Welche politische Lösung wird so möglich?

 

18      Der Schluss des Dramas konfrontiert Chach Abas nochmals mit Catharina. Beschreiben Sie die emotionale Verfassung von Chach Abas. Wie bewertet er sein Handeln? Wie wird die „Strafe“ des Chach nach Catharinas Worten aussehen? Worin sieht er selbst seine Strafe?

 

2.0.3 Form und Denkweise

Die  dramatische Form des Theaterstücks bereitet dem heutigen Leser/Zuschauer schon einige Schwierigkeiten. Sie haben nun den Inhalt des Stückes erfasst, vielleicht auch schon das eine oder andere Problem in Ansätzen erkannt. Ehe Sie nun sich daran machen, einzelne Problemfelder abzustecken und zu bearbeiten, sollten Sie sich noch etwas intensiver vertraut machen mit typische barocken Darstellungsweisen. Wir schlagen vor, dass Sie in zwei Gruppen die beiden folgenden Themen bearbeiten und dann im Plenum Ihre Ergebnisse präsentieren.

Gruppe 1: Grundprinzipien des Aufbaus des Dramas von Gryphius

Gruppe 2: Emblematik und emblematische Darstellungsweisen

Hinweis: Sollte es Ihnen gelingen, Ihren Musiklehrer und / oder ihren Lehrer in Bildender Kunst dazu zu bewegen, die Epoche auch in diesen Fächern zu besprechen, sop wäre das natürlich eine große Hilfe beim Versuch, in das Drama weiter einzudringen. Vorschläge für den Bildenden Künstler: Gartenarchitektur; Stadtplanung; Kleidung/Frisuren; Kirchenbau; Wand-/Deckenmalerei. Vorschläge für den Musiker: Barockoper; Bach (Wohltemperiertes Klavier) und vor allem: die Fuge.

 

Hinweise/Hilfen für die Gruppenarbeit:

Gruppe 1: Grundprinzipien des Aufbaus des Dramas von Gryphius

Der folgende Text enthält wichtige Aussagen zu gestalterischen Grundprinzipien des Gryphschen Dramas.

 

Text C1

Dementsprechend ist der Bau streng durchdacht, absichtsvoll konstruiert, Erlebnis wie Begriff der organischen Form liegt dieser Epoche ganz fern. Schroff wie im absolutistischen Staat wird die Ge­samtform eingehalten. Um der Steigerung willen wird kein Mittel gescheut; jäher Umschwung ist besonders beliebt. Höhepunkt und Katastrophe werden energisch emporgetrieben. Jeder einzelne Akt ist ein in sich wieder geteiltes und gestuftes Ganze, eine Einheit mit mannigfaltigen Teilen (Szenen). Die Verbindung der Szenen geschieht gern durch Kontrastierung. Auch die Chöre sind keine erheiternde Zwischenaktsfüllung, sondern schließen die Akte dentlich ab. Sie bil­den bei Gryphins stets das ethische Gerüst der Handlung, deuten deren geistigen Sinn. Der Zuschauer bleibt also nicht auf seine sub­jektive seelische Meinung angewiesen, sondern bekommt durch jene die genaue Einstellung, um den Gehalt ja richtig zu sehen.

Text aus: Andreas Gryphius: Catharina von Georgien; hrsg. von Willi Flemming, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 31955, Einleitung SXI)

 

 

1        Bearbeiten Sie den Text und formulieren Sie die Grundprinzipien.

 

2        Zeichnen Sie anhand der konkreten Gegebenheiten des Stückes nach, wie diese Grundprinzipien im konkreten Fall realisiert sind.

 

3        Stellen Sie Vermutungen darüber an, wie sich diese Darstellungsprinzipien auf den Zuschauer damals ausgewirkt haben.

 

4        Welche Wirkung haben diese Prinzipien heute?

 

5        Bereiten Sie einzelne Szenen bzw. Szenenschnitte vor,. die Ihren Mitschülern die Realisierung der Prinzipien besonders deutlich vor Augen führen können. (Sie können das in Form von angespielten Szenen, aber auch in Form von kontrastiven Standbildern versuchen.)

 

Gruppe 2: Emblematik und emblematische Darstellungsweisen

 

Text C2

Das Emblem*

Eine wichtige Rolle in der Barockdichtung spielt das Emblem oder Sinnbild...Die erste Emblemsammlung wurde von Andrea Alicati (...) 1531 herausgegeben...Die Sammlung besteht aus 98 Holzschnitten mit Überschrift (lemma) und lateinischem Epigramm. Das Bild, imago oder pictura, stellt einen bestimmten Ort, Pflanze oder Tier, Ereignisse aus dem Leben des Menschen, biblische oder mythologische Szenen dar. Die Funktion des Bildes beruht darin, dass es mehr bedeutet, als es  vorstellt. Das Epigramm, genannt subscriptio, erklärt das Bild, gibt ihm die eigentliche Bedeutung.

Zahlreiche Sentenzen und Anspielungen der Barockdichtung werden erst verständlich dank der Kenntnis des entsprechenden Emblems. So bedeutet beispielsweise die pictura eines Adlerhorstes, in den Ameisen eindringen und die Eier des königlichen Vogels zerstören, laut der subscriptio die Bedrohung der Herrscher durch das Volk....

... Der Unterschied von Sinnbild und Symbol beruht darin, dass das Symbol nicht erklärt werden muss, da es selbst die Idee enthält. Verwandter ist das Emblem der Allegorie, es meidet jedoch die Personifikation...

(Text aus: Szyrocki, Marian: Die deutsche Literatur des Barock. Stuttgart 1979, S. 29 f. =Reclam 9924)

 

1        Der Text erklärt, was ein Emblem ist und wie es „funktioniert“. Sie sollten sich die Aussagen des Textes anhand des folgenden Beispiels klarmachen.

          (Das Emblem-Beispiel ist entnommen aus: Camerarius, Joachimus: Symbolorum et emblematum centuriae tres. 1605)

 

 

 

 

 

2        Beschreiben Sie mit eigenen Worten anhand des konkreten Beispiels die verschiedenen Ebenen des Emblems. Erläutern Sie die Funktion der verschiedenen Ebenen, indem Sie auch die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Ebenen benennen.

3        Versuchen Sie nun, einzelne Teile des Dramas unter „emblematischen Gesichtspunkten“ zu beschreiben.

          - Beginnen Sie mit dem Eröffnungsbild (Regieanweisungen!)

          - Erklären Sie von der Emblemstruktur her den Titel sowie den Untertitel des Dramas.

          - Für die Präsentation im Plenum können Sie versuchen, die Gesamthandlung oder auch einzelne Handlungsteile von der Emblemstruktur her zu beschreiben bzw. darzustellen.

 

 

2.1    Einstieg in einzelne Problemfelder

 

2.1.1  Vanitas - ein Grundthema im Barock

 

1        Diskutieren Sie den „Sinn“ des Untertitels des Dramas.

 

2        Das Bühnenbild und der „Reyen der Ewikeit

          Jüngstes Gericht, Sixtinische Kapelle, Michelangelo

         Das Drama des Gryphius ist eines der ersten, das konkrete Regieanweisungen enthält. Entwerfen Sie ein Bühnenbild, das den Angaben des Autors möglichst nahe kommt. Die Abbildung könnte ihnen einige Anregungen geben.

Text C3

Vanitas! Vanitatum Vanitas!

 


Die Herrlichkeit der Erden

Muß Rauch und Aschen werden,

Kein Fels, kein Erz kann stehn.

Dies, was uns kann ergetzen,

Was wir für ewig schätzen,

Wird als ein leichter Traum vergehn.

 

Was sind doch alle Sachen,

Die uns ein Herze machen,

Als schlechte Nichtigkeit?

Was ist des Menschen Leben,

Der immer um muß schweben,

Als eine Phantasie der Zeit?

 

Der Ruhm, nach dem wir trachten,

Den wir unsterblich achten,

Ist nur ein falscher Wahn.

So bald der Geist gewichen

Und dieser Mund erblichen,

Fragt keiner, was man hier getan.

 

Es hilft kein weises Wissen,

Wir werden hingerissen

Ohn einen Unterscheid.

Was nützt der Schlösser Menge?

Dem hie die Welt zu enge,

Dem wird ein enges Grab zu weit.

Dies alles wird zerrinnen,

Was Müh und Fleiß gewinnen

Und saurer Schweiß erwirbt.

Was Menschen hier besitzen,

Kann für den Tod nicht nützen,

Dies alles stirbt uns, wenn man stirbt.

 

Ist eine Lust, ein Scherzen,

Das nicht ein heimlich Schmerzen

Mit Herzensangst vergällt?

Was ist's, womit wir prangen?

Wo wirst du Ehr erlangen,

Die nicht in Hohn und Schmach verfällt?

 

Was pocht man auf die Throne,

Da keine Macht noch Krone

Kann unvergänglich sein?

Es mag vom Totenreihen

Kein Szepter dich befreien,

Kein Purpur, Gold noch edler Stein.

 

Wie eine Rose blühet,

Wenn man die Sonne siehet

Begrüßen diese Welt,

Die, eh der Tag sich neiget,

Eh sich der Abend zeiget,

Verwelket und unversehns abfällt:

 

So wachsen wir auf Erden

Und hoffen groß zu werden

Und schmerz- und sorgenfrei.

Doch eh wir zugenommen

Und recht zur Blüte kommen,

Bricht uns des Todes Sturm entzwei.

 

Wir rechnen Jahr auf Jahre,

Indessen wird die Bahre

Uns für die Tür gebracht;

Drauf müssen wir von binnen

Und, eh wir uns besinnen,

Der Erden sagen gute Nacht.

 

Weil uns die Lust ergetzet

Und Stärke freie schätzet

Und Jugend sicher macht,

Hat uns der Tod bestricket,

Die Wollust fortgeschicket

Und Jugend, Stärk und Mut verlacht.

Wie viel sind schon vergangen!

Wie viel liebreicher Wangen

Sind diesen Tag erblaßt,

Die lange Reitung machten

Und nicht einmal bedachten,

Daß ihn' ihr Recht so kurz verfaßt.

 

Auf Herz! Wach und bedenke,

Daß dieser Zeit Geschenke

Den Augenblick nur dein.

Was du zuvor genossen,

Ist als ein Strom yerschossen,

Was künftig: wessen wird es sein?

 

Verlache Welt und Ehre,

Furcht, Hoffen, Gunst und Lehre,

Und fleuch den Herren an.

Der immer König bleibet,

Den keine Zeit vertreibet,

Der einig ewig machen kann.

 

Wohl dem, der auf ihn trauet!

Er hat recht fest gebauet,

Und ob er hier gleich fällt,

Wird er doch dort bestehen

Und nimmermehr vergehen,

Weil ihn die Stärke selbst erhält.

 

[Überschrift: Nichtigkeit! Der Nichtigkeiten Nichtigkeit!]


 

Text C4

Andreas Gryphius: Es ist alles eitel

 

Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden,

Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;

Wo jetztund Städte stehn, wird eine Wiese sein,

Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden.

 

Was jetzund prächtig blüht, soll bald zutreten werden.

Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein;

Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.

Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

 

Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.

 Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?

Ach, was ist alles dies, was wir vor köstlich achten,

 

Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind,

Als eine Wiesenblum, die man nicht wiederfindt!

Noch will, was ewig ist, kein einig Mensch betrachten.

 

Text C5

Andreas Gryphius: Menschliches Elende

 

Was sind wir Menschen doch! Ein Wohnhaus grimmer Schmerzen,

Ein Ball des falschen Glücks, ein Irrlicht dieser Zeit,

Ein Schauplatz herber Angst, besetzt mit scharfem Leid,

Ein bald verschmelzter Schnee und abgebrannte Kerzen.

 

Dies Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Scherzen.

Die vor uns abgelegt des schwachen Leibes Kleid

Und in das Totenbuch der großen Sterblichkeit

Längst eingeschrieben sind, sind uns aus Sinn und Herzen.

 

Gleich wie ein eitel Traum leicht aus der Acht hinfällt

Und wie ein Strom verscheußt, den keine Macht aufhält,

So muß auch unser Nam, Lob, Ehr und Ruhm verschwinden.

 

Was itzund Atem holt, muß mit der Luft entfliehn,

Was nach uns kommen wird, wird uns ins Grab nachziehn.

Was sag ich? Wir vergehn wie Rauch von starken Winden.

 

1        Die drei Texte geben einen wichtigen Grundzug der Zeit des Barock wieder. Bearbeiten Sie die drei Texte in Gruppen. Darauf sollten Sie besonders achten:

  - Das Gesamtthema wird in einzelne Aspekte aufgelöst. Beschreiben Sie diese einzelnen Aspekte in der jeweiligen Abfolge.

  - Wie werden die einzelnen Aspekte dargestellt und behandelt?

  - Welches „Gesamtergebnis“ wird jeweils herausgestellt?

  - Was trägt die jeweilige Textform (Reimbindungen,  Metrum, Bilder...) zur Profilierung des Ergebnisses bei?

2          Entwerfen Sie eine Präsentationsform, die es erlaubt, Ihre Erkenntnisse optimal zu vermitteln. (Collage, Montage von Text und Bild...)

 

3        Anklänge im Drama:

  - Einzelne Textteile, Bilder und Vorstellungen finden sich im Drama selbst wieder. Suchen Sie die entsprechenden Stellen auf und stellen Sie die Verbindung zwischen Dramentext und Zeitbewusstsein her.

  - Der Untertitel des Dramas wird nun etwas besser verstehbar. Wie wird ihn der Zeitgenosse verstanden haben?

 

1.1.2  Diesseits-Jenseits: Der Grundgegensatz im barocken Fühlen und Denken

 

1        Schauen Sie sich das eine oder andere barocke Kunstwerk an. Welcher Darstellungsmittel bedient man sich?

 

2        Sie haben schon die  Vanitas -Thematik kennen gelernt. Im Barock gab es aber auch viele Texte wie den folgenden:

 

Text C6

Paul Fleming Wie er wolle geküsset sein

 

 


Nirgends hin als auf den Mund:

Da sinkt's in des Herzens Grund;

Nicht zu frei, nicht zu gezwungen,

Nicht mit gar zu fauler Zungen.

 

Nicht zuwenig, nicht zuviel:

Beides wird sonst Kinderspiel ;

Nicht zu laut und nicht zu leise:

Bei dem Maß ist rechte Weise.

 

Nicht zu nahe, nicht zu weit:

Dies macht Kummer, jenes Leid;

Nicht zu trocken, nicht zu feuchte,

Wie Adonis Venus reichte.

 

Nicht zu harte, nicht zu weich,

Bald zugleich, bald nicht zugleich,

Nicht zu langsam, nicht zu schnelle,

Nicht ohn Unterschied der Stelle.

 

Halb gebissen, halb gehaucht,

Halb die Lippen eingetaucht,

Nicht ohn Unterschied der Zeiten,

Mehr alleine denn bei Leuten.

 

Küsse nun ein jedermann,

Wie er weiß, will, soll und kann!

Ich nur und die Liebste wissen,

Wie wir uns recht sollen küssen.


 

3          Welche Lebenseinstellung kommt in solchen Texten zum Ausdruck?

 

4          Sehen Sie eine Möglichkeit, beide Einstellungen unter einen Hut zu bringen?

 

Text C7

Das antithetische Verhältnis von Diesseits-Jenseits im Drama*

 

Gryphs persönliche Eigenart wie das Lebensgefühl der Zeit spie­gelt die ,,Catharina" überaus deutlich. Sie erwächst aus der gewal­tigen polaren Spannung in der Seele des Barockmenschen zeigt das Gegeneinander von üppigem Diesseitsgenuß und fanatischer Jenseits­sehnsucht;  Körperschwere und Geistesauftrieb verschlungen in wogendem Ringen.

[...]

Das antithetische Grunderlebnis konkretisiert sich in unserem Falle zu dem leitenden Motiv des Kampfes der himmlischen und irdischen Liebe. Die Heirat der christlichen Fürstenwitwe mit dem muhamedanischen Schah wäre sowohl eine Untreue gegen den er­mordeten Gatten und einen Verrat am Vaterland, als auch ein Abschwören ihres Glaubens. So verquickt sich in diesem Konflikt Reli­giöses mit Politischem und Persönlichem. Das Politische liegt der Epoche nahe, da sie eifrig am Aufbau einer staatlichen Organisation arbeitet. Das Ideal eines patriarchalischen Gottesgnadentums zeigt starke religiöse Bindung u. Verantwortungsbewußtsein (,,Gewissen").

[...]

Die Hand1ung besteht für Cathariua in der Bewahrung und Bewährung der Treue gegen Gott, Staat u. Sohn; sie beweist sich in der Beständigkeit, mit welcher sie an den ihr heiligen Gütern allen Dro­hungen und Versuchungen gegenüber energisch und ohne Wanken festhält. ,,Unversagter Mut" (1 v. 874) steht ein für ,,Reich u. Sohn" (1 v. 402, 408), ,,für Kirch u. Land" (IV v. 67). Der Konflikt liegt also nicht im innerseelischen Zwiespalt, im Ringen mit den Dämonen der eigenen Brust, vielmehr in derAbwehr überwältigenden Zwanges. Eine Festigkeit, die uns heut starr, eine unwandelbare Gerichtetheit auf das eine Ziel, die uns heut eintönig vorkommt, ist die unvermeidbare Folge.

Text aus Andreas Gryphius: Catharina von Georgien; hrsg. von Willi Flemming, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 31955, Einleitung S.VII f.)

 

4        Wie sieht der Autor des Textes die Gegensätzlichkeit von Diesseits und Jenseits?

 

5        Wo im Drama sieht er den Gegensatz gespiegelt?

 

6        Wie wird hier der Gegensatz bewältigt?

 

7        Entwerfen Sie ein Untersuchungsprogramm, das die Antithetik im Drama genauer verfolgt.

 

2.1.3  Tragisch oder traurig?

1        Diskutieren Sie die Frage: Ist Catharina eine „tragische Figur“?

  - Ziehen Sie gegebenenfalls Texte und Ergebnisse aus Teil 0 heran.

          - Sie sollten die Diskussion keineswegs „zu Ende“ führen. Es sollte Ihnen vielmehr darauf ankommen, möglichst viele Gesichtspunkte anzusprechen, die für die eine oder die andere Ansicht sprechen.

             - Notieren Sie Ihre Hypothesen und die jeweiligen Begründungen.

 

Die folgenden Texte C8, C9 fragen nach der „Theorie“, die in der Zeit des Barock galt bzw. erarbeitet wurde. Dabei wird immer wieder auf Aristoteles verwiesen. Die entsprechende Stelle bei Aristoteles lautet:

 

Es ist also die Tragödie die nachahmende Darstellung einer ernsten und in sich abgeschlossenen Handlung, die eine gewisse Größe hat, in kunstvollem Stil, der in den einzelnen Teilen sich deren besonderer Art anpaßt, einer Handlung, die nicht bloß erzählt, sondern durch handelnde Personen vor Augen gestellt wird und die durch Mitleid und Furcht erregende Vorgänge die Auslösung (Katharsis) dieser und ähnlicher Gemütsbewegungen bewirkt.

(Text aus: Aristoteles, Hauptwerke; ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von Wilhelm Nestle; Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1963, S. 344)

 

2        Worin besteht nun - nach Aristoteles - genauer die Wirkung einer Tragödie?

          Wie könnte das bei Catharina zutreffen?

 3        Die folgenden Texte sollten Sie in Gruppen bearbeiten.

          Hinweis: Achten Sie darauf, dass sie streng unterscheiden zwischen dem, Was Benjamin selbst sagt, dem, was er zitiert und dem, was Sie selbst schon gedacht haben bzw. zum je anstehenden Problem denken.

         

 

Text C8

... [Beachtenswert]  ist die Indifferenz, mit der die Handbücher der aristotelischen Theorie von der tragischen Wirkung begegnen. Nicht als ob dieser Teil der >Poetik<, dem noch deutlicher als dem andern [= der Lehre von den „drei Einheiten“] die Bestimmtheit durch den kultischen Charakter des griechischen Theaters an der Stirn geschrieben steht, dem Verständnis des siebzehnten Jahrhunderts besonders zugänglich gewesen sein müßte. Doch je unmöglicher das Eindringen in diese Lehre, in der die Theorie der Läuterung durch die Mysterien wirkte, sich erwies, desto freieren Spielraum hätte die Interpretation gehabt. Diese ist ebenso schmächtig in ihrem Gedankengehalt wie schlagend in der Beugung der antiken Intention. Furcht und Mitleid denkt sie nicht als Anteil am integralen Ganzen der Aktion, sondern als den am Schicksal der markantesten Figuren. Furcht weckt das Ende des Bösewichts, Mitleid dasjenige des frommen Hel­den. Birken scheint auch diese Definition noch zu klassisch und statt Furcht und Mitleid setzt er Gottes Ehre und die Erbauung der Mitbürger als Zweck der Trauerspiele ein. »Wir Christen sollen/ gleichwie in allen unsren Verrichtungen/ also auch im Schauspiel-schreiben und Schauspielen das einige Absehen haben/ daß Gott damit geehret/ und der Neben-Mensch zum Guten möge belehrt werden«.1  Die Tugend seiner Beschauer hat das Trauerspiel zu ertüchtigen. Und gab es eine, welche seinen Helden obligat und seinem Publikum erbaulich war, so ist es die alte apátheia. Die Bindung der stoischen Ethik an die Theorie der neuen Tragödie war in Holland vollzogen worden, und Lipsius hatte bemerkt, nur als ein tätiger Impuls, die fremden Leiden und Bekümmernisse zu erleichtern, nicht aber als ein pathologischer Zusammenbruch beim Anblick eines fürchterlichen Schicksals, nicht als pusillanimitas sondern nur als misericordia sei das aristotelische éleos zu verstehen...

1Teutsche Rede-bind- und Dicht-Kunst/ oder Kurze Anweisung zur Teut­schen Poesy/ mit Geistlichen Exempeln: verfasset durch Ein Mitglied der höchslöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft Den Erwachsenen [Sigmund von Birken]. Samt dem Schauspiel Psyche und Einem Hirten-Gedichte. Nürnberg 1679.S.536.

(Text aus: Benjamin, Walther: Ursprung des deutschen Trauerspiels; Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1963, S. 48 ff.)

           - Was setzt sich das barocke Trauerspiel zum Ziel? Was will es bewirken?

          -Wie will es diese Wirkung erzielen?

         

Text C9

 

»Die Tragödie ist an der majestet dem Heroischen gedichte gemeße/ ohne das sie selten leidet/ das man geringen standes personen und schlechte sachen einführe: weil sie nur von kö­niglichem willen/ todschlägen/ verzweiffelungen/ kinder und vätermörden/ brande/ blutschanden/ kriege und auffruhr/ klagen/ heulen/ seuffzten und dergleichen handelt."1 Diese Definition mag der moderne Ästhetiker zunächst allzu hoch aus dem Grunde nicht schätzen wollen, weil sie nur eine Um­schreibung des tragischen Stoffkreises zu sein scheint Und so ist sie denn nie als bedeutsam gewertet worden. Indessen jener Schein trügt. Opitz spricht es nicht aus - ist es doch seiner Zeit das Selbstverständliche-, daß die genannten Vorfälle nicht so sehr Stoff als Kern der Kunst im Trauerspiele sind. Das geschichtliche Leben wie es jene Epoche sich darstellte ist sein Gehalt, sein wahrer Gegenstand. Es unterscheidet sich darin von der Tragödie. Denn deren Gegenstand ist nicht Geschichte sondern Mythos, und die tragische Stellung wird den drarmatis personae nicht durch den Stand - das absolute Königtum -, sondern durch die vorgeschichtliche Epoche ihres Daseins -vergangenes Heroentum - angewiesen. Im Sinn des Opitz ist es nicht die Auseinandersetzung mit Gott und Schicksal, die Vergegenwärtigung einer uralten Vergangenheit, die Schlüssel des lebendigen Volkstums ist, sondern die Bewährung der fürstlichen Tugenden, die Darstellung der fürstlichen Laster, die Einsicht in den diplomatischen Betrieb und die Hand­habung aller politischen Machinationen, welche den Monarchen zur Hauptperson des Trauerspiels bestimmt. Der Souverän als erster Exponent der Geschichte ist nahe daran für ihre Verkörperung zu gelten.

 1 Prosodia Germanica, Oder auch von der Deudschen Poeterey/ In welchem alle ihre Eigenschaft und Zugehör gründlich erzählet/ und mit Ezempeln ausgeführet wird/ Verfertiget von Martin Opitzen. Jetzo aber von Enoch Hannman an unterschiedlichen Orten vermehret/ und mit schönen An­merckungen verbessert. Nunmehr zum siebenden mal correct gedruckt/ und mit einem zwiefachen blatweiser gezieret. Franckfurt am Mäyn o. J. [ca. 165o]. S. 3of.

(Text aus: Benjamin, Walther: Ursprung des deutschen Trauerspiels; Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1963, S. 51 f.)

           - Wie definiert Opitz die Tragödie? Welchen wesentlichen Elemente fordert er?

          - Wie interpretiert Benjamin diese Definition? (Welche Bedeutung misst er ihr bei? Warum?)

          - Worin unterscheidet sich nun nach ihm das barocke Trauerspiel von der griechischen Tragödie?

 4        Wie beurteilen Sie die Frage „tragisch oder traurig?“ nun?

 

2.2    Arbeiten am Text

Den folgenden Schritt sollten Sie arbeitsteilig bewältigen. Dabei sollten Sie zunächst Teilprobleme abgrenzen (Plenum), diese Probleme in Gruppen bearbeiten und schließlich die Ergebnisse im Plenum präsentieren und diskutieren. Wir bieten hier Anregungen für eine solche Aufteilung und Planung von Teilschritten. Sie können sich an diesem Vorschlag orientieren, können aber auch eigene Wege gehen. (Es wäre z.B. denkbar, dass Sie versuchen, statt allzu viel Theorie „zu wälzen“, einzelne Szenen oder Passagen umzuschreiben, zu inszenieren, als Features zu gestalten...)

 

2.2.1 Stoff und Handlung

 

Text C10

Die Gryphsche Märtyrertragödie

Die ,,Catharina von Georgien" unterscheidet sich deutlich von ande­ren Stücken dieser Art. Sie hat einen Stoff der Gegenwart, den Martertod der Königin Catharina von Georgien-Gurgistan unter dem Schah Abbas von Persien im Jahre 1624, zum Gegenstand. Die Königin hatte sich in politischer Mission an den persischen Hof begeben, um die Gunst des Schahs für ihren Sohn Tamaras und für ihr Land Gurgistan zu gewinnen. Sie wurde gefangen gesetzt und sollte durch jahrelange schreckliche Martern zur Muselmanin und damit dem Schah gefügig gemacht werden. Bis in den Tod blieb Catharina ihrem christlichen Glauben, dem Andenken ihres ermordeten Mannes und ihrer vaterländischen Aufgabe getreu. Gryphius kannte diesen Stoff aus den ,,Histoires tragiques de notre temps" des Sieur de S. Lazare (Paris 1635). Wie auch bei den andern Dramen hat sich Gryphius weitgehend an diese historische Quelle gehalten und sie als großen Geschichtsbericht unmittelbar in das Drama aufgenommen; auch die Gefangenschaft Catharinas motivierte er ähnlich. Sein Chach Abas hatte Gefallen an der schönen Königin gefunden und scheinbar ihre Bittgesuche erhört. Fünfzig adelige Georgier hatte er an seinen Hof kommen lassen, um angeblich mit ihnen einen Vertrag zu schließen; nach einem Bankett hatte er sie aber niedermetzeln lassen; die Königin hielt er gefangen, bis sie ihm zu Willen wäre; ihr Sohn Tamaras mußte außer Landes fliehen; auf die beiden Throne von Georgien und Gurgistan setzte Chach Abas einen ihm ergebenen Fürsten.

Die Vorgeschichte von Catharinas Märtyrertod ist also rein politi­scher Natur. Die beiden kleinen georgischen Staaten, Georgien und Gurgistan (das gelegentlich auch Armenien genannt wird), konnten sich zwischen den beiden Großmächten, der Türkei und Persien, nur halten, wenn sie eine kluge Bündnispolitik trieben. Als Gurgistan bei den Osmanen Schutz gesucht hatte, rückten die Perser mit einer Kriegsmacht an. Die Gefangensetzung der Catharina und die Werbung um sie war ebenfalls politischer Natur, aber Gryphius verschleiert dies und betont die Sinnengier des Chach Abas.

[...]

Die eigentliche Märtyrertragödie beschränkt sich also nur auf weni­ge Szenen vom Ende des dritten bis zum Anfang des fünften Aktes, im ganzen sind es nur sieben Szenen. Bevor diese eigentliche Märtyrertragödie einsetzt, könnte man an eine Staatstragödie - (Maria-Stuart-­Motiv) oder an eine Tugendtragödie (Virginia-Motiv) denken. Jedoch nicht so, daß drei verschiedene Tragödienmotive aneinandergereiht wären, sondern die Märtyrertragödie hat durch diese Erweiterungen auch noch den Aspekt einer Staats- und Tugendtragödie. Es ist die Einheit des Tragischen in der Dreiheit der tragischen Perspektiven.

(Aus: Heselhaus, Clemens: Gryphius, Catharina von Georgien; in: Benno von Wiese (Hrsg.): Das deutsche Drama Vom Barock bis zur Gegenwart. Interpretationen. Bd.1, August Bagel Verlag Düsseldorf  1968, S. 38 f.)

 

1      Was ist - nach Heselhaus - das Besondere am „Stoff“ des Stückes? Welche Dimensionen eröffnen sich damit der Literatur und besonders dem Drama?

 2      Welche zentralen Aspekte bestimmen nach Heselhaus das Handlungsgefüge?

3      Versuchen Sie in einer Skizze die ineinander verschlungenen die „Tragödienaspekte“ darzustellen. Klären Sie dabei:

  - Was ist auf der jeweiligen Ebene der bestimmende Aspekt? Welche Motive sind wirksam?

  - Was hält die drei Ebenen zusammen?

 4      Klären Sie, wie weit Zeit und Zeithintergründe in die Handlung(en) hineinspielen. Das folgende Schema gibt Ihnen erste Anregungen. Füllen Sie die entsprechenden Rahmen aus.

 

2.2.2 Handlung und Konfiguration

 

1        Der Gegensatz zwischen den Hauptakteuren  wird auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Dimensionen wirksam: Stellen Sie Catharina und Chach Abas gegenüber, wie sie in der Exposition sich darstellen (Berücksichtigen Sie Eigenschaften und Motive!):

 

 

                                         Catharina von Georgien                    Chach Abas                                            

                                                                                                                                                

politische Ebene

                                                                                                                                                  

persönliche Ebene

                                                                                                                                                 

ethische Ebene

                                                                                                                                                                                      

 

2      Versuchen Sie von beiden Protagonisten ein Persönlichkeitsbild zu entwerfen. Der folgende Text kann Ihnen dabei helfen.

 Text C11

Da es Gryphius fern lag, eine dramatische Charakterstudie zu schreiben, so erscheinen uns seine Figuren heut meist eintönig Doch braucht man nur irgend ein Beispiel aus dem vorhergehenden Jahrhundert zu nehmen, um zu erkennen wie sehr dessen Typenhaftigkeit überwunden ist. Die Einmaligkeit und Eigentümlichkeit wird durchaus beachtet, ja geschätzt. Der Mensch wird als Individualität gefaßt. Jedoch handelt es sich bei dem Dichter nicht um die Analyse vielfältiger Charakterzüge. Die Figuren sind auf eine einzige Wurzel zurückgeführt. Sie erscheinen nur als Willens- und Triebmenschen, als Affektwesen, welche von einer Leidenschaft beherrscht und gelenkt werden...  Catharina ist keine sanfte Dulderin, keine stille ,,schöne Seele", sondern eine energische Heroine. Die Bezeichnung ,,Märtyrer" für den Heldentyp des Barockdramas darf keineswegs nach der passiven Richtung mißdeutet werden; man sagt besser ,,Blutzeuge". Leben heißt kämpfen und wenn es sein muß, mit Haltung sterben (,,beherzt" IV v. 276), getragen von dem Wissen um Vergänglichkeit und Nichtigkeit alles Irdischen (IV v. 323), gehorsam gegen Gottes Schickung (IV v. 342), ja in einem letzten großen Aufschwung zu ewigem Ruhme.

(Text aus: Andreas Gryphius: Catharina von Georgien; hrsg. von Willi Flemming, Max Niemeyer Verlag, Tübingen 31955, Einleitung S.IX)

 

2.2.3  Lehre und Belehrung

 Text C11

Georg Philipp Harsdörffers Konzept des „Theaters“

Aus dem „Poetischen Trichter“

... Die Lehr- und Denksprüche sind gleichsam des Trauerspiels Grundseulen... obwohl der Poet mehrmals eine wahre Geschicht ausdichtet / und an derselben Ausgang nichts verändern soll / so kan er doch allerley Umstände / welche sich nit begeben / aber doch vermutlich sich hätten begehen können / und theils auch begeben sollen / mit an- und einbringen/ sonderlich aber den Personen nachdenkliche und merkwürdige Reden zudichten / daß sie nicht nur an den Kleidern / sondern auch an den schicklichen Namen und ihren Redarten zu erkennen / wie oben vermeldet worden...

... Das Trauerspiel sol gleichsam ein gerechter Richter seyn / welches in dem Inhalt die Tugend belohnet / und die Laster bestraffet; Daher wird es auch ein wolgefalliger Betrug genennet / welcher dem Betrüger Ehre wegen seiner Kunstrichtigen Arbeit / und den Betrogenen viel Nutzen durch die Lehre zuwege bringet. Solches auszuwürken ist der Poet be­mühet / Erstaunen / oder Hermen und Mitleiden zu erregen / jedoch dieses mehr als jenes. Durch das Erstaunen wird gleich­sam ein kalter Angstschweiß verursacht / und wird von der Furcht unterschieden / als welche von grosser Gefahr ent­stehet; dieses aber von einer Unthat und erschröcklichen Grausamkeit / welche wir hören oder sehen. Solche Gemüts­bewegung findet sich / wann wir ein Laster scheuen ernstlich und plötzlich straffen / daß wir in unsrem Gewissen auch be­finden; und wir werden zu Mitleiden veranlasst / wann wir einen Unschuldigen viel Übel leiden sehen. Der Held / welchen der Poet in dem Trauerspiel aufführet / soll ein Exempel seyn aller vollkommenen Tugenden / und von der Untreue seiner Freunde / und Feinde betrübet werden; jedoch dergestalt / daß er sich in allen Begebenheiten großmütig erweise und den Schmertzen / welcher mit Seufftzen / Erhebung der Stimm / und vielen Klagworten hervorbricht / mit Tapferkeit überwinde...

Text aus: Georg Friedrich Harsdörffer, Poetischer trichter, Zweiter Teil, Nürnberg 1684, S.81, S 83 f.

 

1        Worin besteht nach Harsdörffer die zentrale Aufgabe der Tragödie? Wie soll sie diese Aufgabe bewältigen?

2        Überprüfen Sie genauer:

  - Erfüllt Gryphius in seinem Drama die Forderung(en) Harsdörffers?

  - Welcher Mittel bedient sich Gryphius?

  - Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang die „Reyen“? (Der folgende Text kann Ihnen helfen bei der Klärung  dieser Frage.)

 

Text C12

Der Chor, durch das Vorbild der Antike sanktioniert, hat in den Poetiken seinen festen Platz. Man ist sich einig: »Dieses Lied sol die Lehren / welche aus vorhergehender Geschichte zuziehen / begr[e]iffen....“[ Harsdoerfer, Poetischer Trichter II, S.74). Selbstverständlich handelt es sich um moralische Lehren:

 „Diese Lieder reden gemeinlich von den Tugenden oder Lastern / welche die vorhergehende SpielPersonen an sich gehabt / da jene gelobet und diese gescholten werden..  [S. v. Birken, Rede-bind- und Dicht-Kunst, [S.327] Es wird aber nicht nur über Tugenden und Laster geredet, sie reden selber und mit ihnen ein Heer alter und neuer Allegorien. In der Allegorie und ihrer zugleich spiritualisierenden und konkretisierenden Kraft verkörpert sich der Deutungswille des Trauerspiels am entschlossensten. Sie ist es, die den barocken Reyen vom vornehmlich begleitenden antiken Chor trennt, ihn zur sichtbaren Anatomie der Abhandlung macht und ihn damit auf eine prinzipiell höhere Ebene hebt.

(Hans-Jürgen Schings: Consolatio Tragoediae; in: Reinhold Grimm (Hrsg.): Deutsche Dramentheorien I. Beiträge zu einer historischen Poetik des Dramas in Deutschland. Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, Wiesbaden 1971, S.40.)

 

2.3   Tragik und Tragödie im Barock

2.3.1 Märtyrer

Text C12

 Der christliche Märtyrer und die Tragik*

Ganz anders liegen die Dinge beim christlichen Märtyrer. Er erregt weder Furcht noch Mitleid; denn er selbst zeigt nicht nur keine Furcht, er betrachtet seinen Tod als Heil, er wünscht ihn sogar herbei - und die künftige Glückseligkeit ist ihm sicher. Um so vehementer regen sich die unpassenden Affekte gegen Kaiser und Tyrannen, wollen diese doch die noch junge Religion ausrotten. Wie soll da eine Tragödie möglich sein?

[...]

... hier wird vollends offenkundig: eine neue Qualität kommt mit dem christlichen Helden ins Trauerspiel. Wird der christliche Dualismus von corpus und anima, vom status naturalis hominis und von der beatitudo aeterna zum Prinzip des dramatischen Protagonisten, lebt er aus jener Ent­gegensetzung von Körper und Geist, Zeit und Ewigkeit, Diesseits und Jenseits, dann ist er für tragisches Leid nicht mehr erreichbar. Es fallen die tragischen Affekte, es entfällt die tragische Relation zwischen Cha­rakter und Pathos. An die Stelle des aristotelischen Systems rückt das martyrologische der gloria passionis Was der christlichen Tragödie bleibt, ist der Triumph über die Furcht und die Leiden des Fleisches, ist, für die Zuschauer, die Vergewisserung solchen Triumphs, die Nach­ahmung des Beispiels, der Sieg über die Angst dieser Welt.

(Hans-Jürgen Schings: Consolatio Tragoediae; in: Reinhold Grimm (Hrsg.): Deutsche Dramentheorien I. Beiträge zu einer historischen Poetik des Dramas in Deutschland. Akademische Verlagsgesellschaft Athenaion, Wiesbaden 1971, S. 33 ff.)

 

1      Was ist nun anders gegenüber der Antike,  wenn der christliche Märtyrer in der Tragödie stirbt?

 2      Die beiden folgenden Text können Ihnen helfen, die Frage zu vertiefen. Sie sollten sie arbeitsteilig bearbeiten und die ergebnisse austauschen.

 

Text C13

Das Absehen und der Zweck der alten Comödien und Tragedien ist gewesen / die Spielschauer in diesen zum Erstaunen und Mitleiden / in jenen zur Hoffnung und Freude / zu bewegen. Ist zwar wolgemeint... Es ist aber damit nicht ausgemacht / daß man allein suche die Menschen zu be­lustigen oder zu schrecken. Die blinde Heiden / die vom wahren Gott nichts wusten / haben hierinn gröblich und verdamlich geirret / und sich nicht gescheuet / allerhand Bosheiten offentlich vorzustellen / wan sie nur besag­ten Zweck erreichen mochten: da dann Schauspieler und Spielschauer mit­einander dahin gefahren / wo sie nun / auf dem feurigen Schauplatz ihres Götzen Plutons ein ewiges Traurspiel spielen. Wir Christen sollen / gleichwie in allen unsren Verrichtungen / als auch im Schauspiel-schreiben und Schau­spielen das einige Absehen haben / daß Gott damit geehret / und der Neben-Mensch zum Guten möge belehrt werden: da dann das Belusten in seiner Maße mit folgen kan.

S.v. Birken, Rede-bind- und Dichtkunst, S.335 f

Text nach: Hans-Jürgen Schings: Consolatio Tragoediae; in: Reinhold Grimm (Hrsg.): Deutsche Dramentheorien I. Beiträge zu einer historischen Poetik des Dramas in Deutschland. Akademische verlagsgesellschaft Athenaion, Wiesbaden 1971, S.15 f.

 

Text C14

Dann eine Tragödie / wie Epictetus soll gesagt haben / ist nichts anders als ein Spiegel derer / die in allem ihrem thun vnd lassen auff das blosse Glück fussen. Welches wir Menschen ins gemeine zum Gebrauche haben; wenig außgenommen / die eine vnd andere vnverhoffte Zufälle voran sehen / und sich also wider dieselbigê verwahren / dz sie inen weiter nit schaden mögê als an eusserlichê Wesen / vnd an denen Sachen 1 die den Menschen eygentlich nicht angehen. Solche Beständigkeit aber wird vns durch Beschawung der Mißligkeit deß Menschlichen Lebens in den Tragö­dien zu förderst eingepflantzet: dann in dem wir grosser Leute / gantzer Stätte vnd Länder eussersten Vntergang zum offtern schawen vnd betrach­ten / tragen wir zwar / wie es sich gebüret / erbarmen mit jhnen 1 können auch nochmals auß Wehmuth die Thränen kaum zurück halten; wir lernen aber darneben auch durch stetige Besichtigung so vielen Creutzes vnd Vbels das andern begegnet ist / das vnserige/ welches vns begegnen möchte  weniger ­fürchten vnnd besser erdulden. Wer wird nit mit grösserem Gemüte als zuvor seines Vatterlandts Verterb vnd Schaden / den er nit verhüten mag / ertragen / wann er die gewaltige Statt Troja /... siehet im Fewer stehen / vnd zu Staube vnd Asche werden?

Martin Opitz, Vorrede »An den Leser», in: Weltliche Poemata (1644), Erster Teil, unter Mitwirkung v. Christine Eisner hrsg. v. E. Trunz, Tübingen 1967, S.314 f.

 

2.3.2 Der „christliche Held“

 

Text C15

Monarch und Märtyrer entgehen nicht im Trauerspiel der Immanenz. - Zur theologi­schen Hyperbe1 tritt eine sehr beliebte kosmologische Argu­mentation. In unzähligen Wiederholungen durchzieht der Ver­gleich des Fürsten mit der Sonne die Literatur der Epoche. Dabei ist es zumal auf die Einzigkeit dieser entscheidenden Instanz abgesehen...

Mit Vorliebe wandte man sich der Geschichte des Ostens zu, wo das absolute Kaisertum in einer dem Abendlande unbe­kannten Machtenffa1tung begegnete. So greift in >Catharina< Gryphius auf den Schah von Persien

...je mehr gegen den Ausgang des Barock der Tyrann des Trauerspiels zu jener Charge wurde, die ein nicht urühmliches Ende in Stra­nitzkys wiener Possentheater fand, desto brauchbarer erwiesen sich die von Untaten strotzenden Chroniken Ostroms....

...Könige mißt man nach keinem Mittelmaße. Man rechnet sie entweder unter die gar guten/ oder unter die gar bösen."

Den »gar bösen« gilt das Tyrannendrama und die Furcht, den »gar guten« das Märtyrerdrama und das Mitleid Diese Formen wahren ihr kurioses Nebeneinander nur solange, als die Betrachtung den juristischen Aspekt barocken Fürstentums übergeht. Folgt sie den Hinweisen der Ideologie, erscheinen sie als strenges Komplement. Tyrann und Märtyrer sind im Barock die Janushäupter des Gekrönten. Sie sind die notwendig extremen Ausprägungen des fürstlichen Wesens. Das ist, was den Tyrannen angeht, leicht ersichtlich. Die Theorie der Souveränität, für die der Sonderfall mit der Entfaltung diktato­rischer Instanzen exemplarisch wird, drängt geradezu darauf, das Bild des Souveräns im Sinne des Tyrannen zu vollenden.

 ...Denn wird im Herrscher da, wo er die Macht am rauschendsten entfaltet, die Offenbarung der Geschichte und zugleich die ihren Wechselfällen Einhalt tuende Instanz erkannt, so spricht für den im Machtrausch sich verlierenden Cäsaren dieses Eine: er fällt als Opfer eines Mißverhältnisses der unbeschränkten hierarchischen Würde, mit welcher Gott ihn investiert, zum Stande seines armen Menschenwesens

Die Antithese zwischen Herrschermacht und Herrschvermögen hat für das Trauerspiel zu einem eigenen, nur scheinbar genrehaften Zug geführt, dessen Beleuchtung einzig auf dem Grunde der Lehre von der Souveränität sich abhebt. Das ist die Ent­schlußunfähigkeit des Tyrannen. Der Fürst, bei dem die Ent­scheidung über den Ausnahmezustand ruht, erweist in der erstbesten Situation, daß ein Entschluß ihm fast unmöglich ist..... Denn nicht Gedanken, sondern schwankende physische Impulse bestimmen sie.

[...] Es ist denn auch nicht zuviel, wenn man in allen Dramendefinitionen der Handbücher im Grunde die Beschreibung des Märtyrer­dramas erkennt. Sie haben es nicht sowohl auf die Taten des Helden als auf sein Dulden, ja öfters nicht sowohl auf Seelen­qualen als auf die Pein des körperlichen Ungemachs, das ihn ereilt, abgesehen. Dennoch ist das Märtyrerdrama nirgends bündig, wenn nicht in einem Satze Harsdörffers, gefordert worden. »Der Held... sol ein Exempel seyn aller vollkomenen Tugenden / und von der Untreue seiner Freunde / und Feinde betrübet werden; jedoch dergestalt / daß er sich in allen Begebenheiten großmütig erweise und den Schmertzen / welcher mit Seufftzen/ Erhebung der Stimm und vielen Klagworten hervorbricht / mit Tapferkeit überwinde."

(Text aus: Benjamin, Walther: Ursprung des deutschen Trauerspiels; Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1963, S. 52 ff.)

 

1      Was bestimmt den christlichen Helden?

 

2      Wie wird der „Herrscher“ gesehen?

 

3      Beziehen Sie die wichtigsten Einsichten auf das Drama „Catharina v.G.“.

 

2.4   Und nun?

2.4.1 Träumer, Spinner oder was?  

 

1      Diskutieren Sie die Frage: Inwieweit kann aus der „Catharina“ ein „brauchbares“ Verhaltensmodell abgeleitet werden?

        Beachten Sie: „christliche Orientierung“ kann durch andere Orientierungen mit gleichem Anspruch ersetzt werden!

 

2      Der Chach, der große Loser?

        - Politische Absichten

        - Mittel seiner Politik?

        -Persönliche „Absichten“ - Mittel der Realisierung?

 

2.4.2          Undenkbar - Oder doch nicht?

 

1        Auch wenn vieles extrem und fremd erscheinen mag: Wo finden Sie heute ähnliche Einstellungen, Verhaltensweisen, Grundsätze...?

2        Sie haben zu Beginn der Auseinandersetzung mit dem Drama versucht, ein Bühnenbild zum Eingang des Stücks zu entwerfen. Nehmen Sie diesen Entwurf nochmals vor und entwerfen Sie nun ein Bühnenbild, das geeignet ist, die in der „Catharina von Georgien“ angesprochenen Themen/Probleme dem heutigen Zuschauer näher zu bringen.

 

3        Entwerfen Sie ein Szenario, das Teile des Stückes in einen heute möglichen „Horizont“ projiziert.

         

4        Entwickeln Sie einzelne typische Szenen, Tableaus usw., die zeigen, was an „Catharina“ vielleicht doch noch diskutabel ist.