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E.T.A. Hoffmann: Lebensansichten des Katers Murr
1 Hinweise zur Didaktik und Methodik
1.1 Zur „Sache“Zugegeben: Es handelt sich hier um einen nicht ganz „einfachen“ Gegenstand. Schon der Gesamtaufbau ist so widerständig, dass man schnell bereit ist aufzugeben. Versucht man dann gar, mit den „üblichen“ Mitteln Handlung zu rekonstruieren, so gerät man immer wieder in ein schier undurchdringliches Gestrüpp von Figuren, Intrigen, von Ironie und vielleicht auch „Überspanntheit“. Am einfachsten ist es wohl, die Geschichte mit dem Kater in den Griff zu bekommen — aber genau das gehört zu all dem Hinterhältigen, was E.T. A. Hoffmann für uns bereithält. Natürlich macht der Kater kaum Probleme, wie man wohl sagen wird. Er versteht sich ja schließlich als wohlgearteter, sittsamer Jüngling, der alles daran setzt, sich einzupassen in das, was eben erwartet wird. — Genau wie in der „anderen“, der „verworrenen“ Handlung sich Kreisler allem widersetzt, was nach geregeltem, wohlgesittetem Einfügen aussieht. Die Murr-Handlung also bereitet wohl kaum Schwierigkeiten, vor allem dann nicht, wenn Goethes „Wilhelm Meister“ schon bekannt und als „Bezugsebene“ präsent ist. Oder doch: Was soll dieses eigenartige Vieh, das so vollkommen egozentrisch-ignorant sich in Szene setzt? Was geschieht da mit all dem, was man bei „Wilhelm“ als „edle Intention“, als Bildungsoptimismus gerade diskutiert und um das man die Goethezeit vielleicht auch ein bisschen beneidet hat? Vielleicht kann der „edle Sinn“, der zumindest im Dunstkreis der Turmgesellschaft Gefahr läuft, in eine ideell-rationalistische Sphäre abzutriften, gerade durch die borniert-philiströse Version, wie sie der Kater anbietet, wieder auf den Boden der alltäglichen Realität zurückgeholt werden. Aber das allein ist wohl nicht das Entscheidende. Wichtiger noch ist, dass nun ein Thema aufgegriffen wird, das im „Wilhelm Meister“ zwar anklingt, dort aber — so weit wirkt sich der aufgeklärte Rationalismus der Turmgesellschaft aus — nicht so recht bewältigt wird: Die Frage nach einer „Poetisierung des Lebens“ wie sie in Mignon und dem Harfner anklang, wird nun in der Figur des Künstlers Kreisler rigoros gestellt und in mehreren Dimensionen durchgespielt. So wird der Roman jetzt interessant als Kontrastierung von zwei Prinzipien: Hier das bürgerlich-klassische Modell — freilich in der ironisch-banalen Ausprägung, wie sie das Kater-Leben vorführt, dort die romantische Version des Menschen, der in seinem Künstlertum eingeengt und damit in seinem Lebensvollzug, seiner „Existenz als Künstler“, behindert wird. Nun könnte klar werden, wo die eigentlichen Probleme der Kreisler-Handlung zu vermuten sind: Ein Lebenskonzept wie das Kreislers (den die Gesellschaft vorläufig dazu zwingt, sich im Kreis zu bewegen) lässt keine Handlungsführung zu, die dem bürgerlichen Denken (wie es der Kater repräsentiert), stringent erscheint. Den Schülern/Schülerinnen könnte beides interessant werden: Die in der Ironie kritisierte bürgerliche Version von Erziehung zu Tugenden und Werten, wie sie wohl auch dem heutigen Jugendlichen immer wieder vorgestellt werden (vielleicht auch schon von diesem mehr oder weniger akzeptiert werden, zumindest wenn es um Tugenden geht, die zu direktem Erfolg — auch finanziellem Erfolg! — führen), könnte ihn dazu bringen, über gerade diese Tugenden nachzudenken (er muss sie ja nicht ablehnen, aber er sollte sie bewusst und begründet akzeptieren!). Andererseits aber sollte er sich auch mit dem „anderen Konzept“, mit dem von der Romantik unter dem Stichwort „Poetisierung des Lebens“ entworfenen Konzept einer nicht nur erfolgs- oder auch realitätsorientierten Lebenspraxis auseinander setzen. Gerade der Zwiespalt zwischen dem Wunsch, die Künstlerexistenz zu entfalten und dem Zwang zur Anpassung an die Erwartungen der Gesellschaft, das also, was die „Zerrissenheit“ des Künstlers Kreisler ausmacht, könnte Ausgangspunkt des Nachdenkens über eigene Existenzbedingungen, Wertsetzungen und -orientierungen sein.
1.2 Methodische KonzepteEs könnte hier ein Unterrichtsverfahren angewendet werden, welches als Mischung aus Gruppenarbeit, projektorientiertem Arbeiten und „normalem“ Frontalunterricht zu sehen ist. Da der Roman hinsichtlich der Erzählweisen wie auch hinsichtlich der Erzählstrukturen eine recht komplexe Angelegenheit darstellt, erscheint es sinnvoll, bestimmte Problembereiche abzugrenzen und sie einzelnen Gruppen zur Bearbeitung zuzuweisen. Im weiteren Unterrichtsverlauf werden diese Gruppen zwar nie ihre Ergebnisse als geschlossenes Ganzes vorstellen, sie werden aber immer als „Experten“ zur Stelle sein, wenn ein Problem ihren „Sachbereich“ tangiert. Welche Problembereiche im Einzelnen nun abzugrenzen sind, könnte in einem ersten Planungsgespräch festgelegt werden. Erfahrungsgemäß haben sich die folgenden Problemkreise als wesentliche Fragenbereiche immer wieder herauskristallisiert: 1) Abgrenzung der Murr-Handlung, Fixierung der Handlungschronologie. Diese Aufgabe könnte eine weniger starke Gruppe übernehmen. 2) Die Kreisler-Handlung müsste genauer „rekonstruiert“ werden. Die Erzählchronologie und die Handlungschronologie müssten gegenübergestellt werden. 3) Erzählperspektivik: Es wäre sinnvoll, hier eine leistungsfähige, relativ große Gruppe anzusetzen, die sich die Arbeit noch weiter unterteilt. Es könnten folgende Teilaspekte (u. a.) bearbeitet werden: • Die Perspektivik im Murr-Teil • Verschiedene Perspektiven im Kreisler-Teil • Ziele des Herausgebers (Vorwort, Nachwort, Einschübe/Kommentare) • Die Aufgabenstellung für die Gruppe sollte ein mehrdimensionales Arbeiten ermöglichen: • Zunächst einmal sollte die Perspektivik genauer beschrieben werden (Welche Perspektive liegt jeweils vor? Worin zeigt sich das? Wo endet die jeweilige Perspektive?) • Zum andern sollte dann die jeweils bestimmte Perspektive auch funktional reflektiert werden. (Welche Wirkung ergibt sich aus der Perspektivik? Wie wird die Wirklichkeit an der jeweiligen Stelle gesehen? Was bedeutet die Perspektivik für die Wirklichkeitssicht des Autors?) Je nach Aufgabenstellung sollten die einzelnen Gruppen auch zu „vorzeigbaren“ Ergebnissen kommen im Sinne etwa einer Übersicht, die den übrigen Kursmitgliedern zugänglich gemacht werden kann. (Plakat, Arbeitspapier, Folie ...) Es ist zu beachten, dass dieses „greifbare“ Ergebnis nicht das einzige Ergebnis sein sollte, das die Gruppen vorlegen. In ihm ist nur eine schnelle Orientierung zu sehen. Die eigentlichen Ergebnisse sollten dann im jeweiligen Gespräch vermittelt werden, d. h. im Verlauf der unterrichtlichen Arbeit (im Gesamtkurs) wird die jeweilige Gruppe immer dann herangezogen (oder sogar die Leitung übernehmen), wenn ihr Arbeitsbereich berührt wird.
Vorgesehene Arbeitszeit für die Gruppen: je nach erwarteter Intensität 2—3 Stunden. Gegebenenfalls wird man, gerade was den Arbeitsbereich der dritten Gruppe betrifft, eine Stunde vorschalten über Erzählweisen (möglich: eine kurze Sequenz im Zusammenhang mit: RECLAM, Wie interpretiert man einen Roman? UB 15031; besonders die Teile 5. 10—28). Rainer Uhlendorf (Rainer Uhlendorf: Einführung in komplexe Erzählstrukturen am Beispiel von E. T. A. Hoffmanns Roman „Lebens-Ansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern“. Pädag. Hausarbeit; Speyer 1981) schlägt eine andere thematisch-stoffliche Orientierung der Arbeitsgruppen vor. Er liefert den Gruppen auch einzelne mehr theoretisch orientierte Arbeitstexte, die gewissermaßen das Handwerkszeug zur Verfügung stellen, mit dessen Hilfe die Gruppen dann zu arbeiten haben. Im Einzelnen sieht er vor: • 1. Arbeitsgruppe: Die Zeitgestaltung im .‚Kater Murr“Arbeitsschwerpunkte:
Textgrundlagen: Auszüge aus H. Seidler: Die Zeitgestaltung im epischen Werk und aus J. Vogt: Das Zeitgerüst des Erzählens (Texte zu finden in: Köpf, Gerhard und Popp, Helmut: Erzählen. 1. Erzähltheorie; München 1978) • 2. Arbeitsgruppe: Die Raumgestaltung im „Kater Murr“Arbeitsschwerpunkte:
Textgrundlagen: H. Seidler, Die Raumgestaltung im epischen Werk; und B. Hillebrand: Der Raum als Ausdrucksträger (Texte siehe Anm. zur 1. Arbeitsgruppe) • 3. Arbeitsgruppe: Erzählweisen und Redeformen im RomanArbeitsschwerpunkte:
Textgrundlagen: J. Vogt: Darbietungsformen, Erzählweisen, Redeformen (Text siehe Anm. zur 1. Arbeitsgruppe) • 4. Arbeitsgruppe: Erzählsituationen im „Kater Murr“Arbeitsschwerpunkte:
Textgrundlagen: K. Stanzel, Erzählsituationen; R. Weinmann: Struktur und Wandel der Erzählperspektive (Text siehe Anm. zur 1. Arbeitsgruppe) • 5. Arbeitsgruppe: Sprach- und Stilanalyse des „Kater Murr“Arbeitsschwerpunkte:
Der Unterricht im Kursverband wird in seiner Abfolge von dem ersten Gespräch her zu strukturieren sein. Allerdings wird es kaum möglich werden, in einem abstrakten Planungsgespräch thematische Details festzulegen, ehe nicht in einem tatsächlichen Wirkungsgespräch Eindrücke, Verstehen, Missverstehen, aber auch Fragen und Einwände artikuliert wurden, die sich beim häuslichen Lesen eingestellt haben. Besonders empfehlenswert im vorliegenden Fall: Es sollte bei der häuslichen Lektüre ein „Lesetagebuch“ geführt werden, in welchem spontan die sich einstellenden Eindrücke notiert, aber auch die psychischen Reaktionen festgehalten werden sollten. Das die unterrichtliche Besprechung eröffnende Wirkungsgespräch könnte dann auf der Basis dieses Lesetagebuchs in der Form durchgeführt werden, dass die Schüler nicht einfach ihre Notizen vorlesen, wohl aber sich auf diese stützen, wenn es darum geht, Eindrücke in Erinnerung zu rufen und zu artikulieren. Der folgende Vorschlag stellt ein Modell vor, das sich auf der Basis mehrerer Behandlungen im Unterricht ergab. Es wird entsprechend den konkreten Gegebenheiten von Fall zu Fall zu modifizieren sein. Einzelheiten zur Sequenz finden Sie hier: |