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3      Lessing, das bürgerliche Trauerspiel und die Katharsis

            In diesem Kapitel werden Sie sich mit wichtigen Aspekten der Tragödie bzw. des Trauerspiels befassen, soweit sie in der Zeit der Aufklärung und besonders bei Lessing ausgearbeitet wurden. Wir empfehlen Ihnen, das erste Teilkapitel im Plenum (bei zeitweiliger Gruppenarbeit) zu bearbeiten und dann in zwei Großgruppen die beiden angebotenen Dramen anzugehen. (Natürlich werden Sie in den Großgruppen die Arbeit weiter unterteilen, so könnten Sie z.B. in kleiner Gruppen die Konfiguration, die Handlungs-/Konfliktentwicklung usw. bearbeiten.)

            Ihre grundlegenden Zugriffe sollten Sie aber anhand der im ersten Teilkapitel erarbeiteten Resultate konzipieren. (Sie werden an entsprechenden Stellen Hinweise finden.)

 

3.1    Grundlegende Begriffe

 

3.1.1  Bürgerliches Trauerspiel

            Text L1

Den Anfang des bürgerlichen Dramas markiert Lessing 1756 in einer Bemerkung, die nicht nur den besonderen ästhetisch-emotionalen Reiz des Neuen nachempfinden lässt, sondern auch dessen theoretisch grundsätzlichen Charakter. In der Vorrede zu einer deutschen Überset­zung von James Thomsons Trauerspielen schreibt er:

 

So wie ich unendlich lieber den allerungestaltesten Menschen, mit krummen Beinen, mit Buckeln hinten und vorne, erschaffen, als die schönste Bildseule eines Praxiteles gemacht haben wollte: so wollte ich auch unendlich lieber der Urheber des Kaufmanns von London [von George Lillo], als des sterbenden Cato [von Gottsched] seyn, gesetzt auch, daß dieser alle die mechanischen Richtig­keiten hat, derenwegen man ihn zum Muster für die Deutschen hat machen wollen. Denn warum? Bey einer einzigen Vorstellung des erstern sind, auch von den Unempfindlichsten, mehr Thränen vergossen worden, als bey allen möglichen Vorstellungen des andern, auch von den Empfindlich­sten, nicht können vergossen werden. Und nur diese Thränen des Mitleids, und der sich fühlenden Menschlichkeit, sind die Absicht des Trauerspiels, oder es kann gar keine haben1.

[...]

Lessing profilierte ... zunächst den Widerspruch der neuen Gattung zum heroischen Drama der klas­sizistischen Tradition. Dieser Widerspruch ist geradezu ihr definierendes Charakteristikum. Denn statt der Aura des Politischen, Öffentlichen und Geschichtlichen herrscht im typischen bürgerlichen Drama der fünfziger und sechziger Jahre und noch in seinen späteren Ausläufern durchweg die Atmosphäre des Privaten, Mitmenschlichen, Familiären, Alltäglich-Vertrauten. Das impliziert in Ton und Stil, in Gehalt und Thematik einen entschiedenen Wandel gegenüber dem traditionellen Heldendrama mythologisch-historischen Stoffes. Vorherrschend sind im bürgerlichen Drama statt der rhetorischen Stilisierung auf das Erhabene und äußerlich Form­vollendete („mechanische Richtigkeit“) die „Gemeinheit“ der Prosa und der Ambiance, die nicht selten auch dramaturgische „Ünregelmäßigkeiten“ nach sich zieht (ohne daß das bürgerli­che Drama deswegen schlechthin als unregelmäßiges zu definieren wäre4). Hinter dieser stilisti­schen Differenz verbirgt sich jedoch eine weltanschauliche, die den genauen geistesgeschichtlichen Ort des bürgerlichen Dramas bezeichnet: was im bürgerlichen Drama ausfällt, ist die spcies aeterni, der religiöse Fundamentalaspekt. Das heißt: an die Stelle des Verhältnisses des Men­schen zum Übermenschlichen, zum Schicksal und Göttlichen, das sein Leben und Handeln be­stimmt, ist seine Beziehung zur mitmenschlichen Gemeinschaft getreten. Sein Weltverständnis ist wesentlich immanent; Determination aus dem Jenseits ist der aufgeklärten Mentalität eine unannehmbare Zumutung. Dem Märtyrer des barocken Welttheaters hat die Stunde geschla­gen; die Chance des gemeinnützig-selbstlosen Nachbarn und Freundes war nie größer in der deutschen Literatur. So erweist sich das bürgerliche Trauerspiel, wie es in Deutschland um die Jahrhundertmitte in Erscheinung tritt, substantiell als Gattung der Säkularisation5.

Der bezeichnete Verlust an Welthaltigkeit wird indes in der zeitgenössischen Theorie des bürgerlichen Dramas zu einem Plus umgedeutet, und zwar zu einem moralischen. Ein Vorzug des bürgerlichen Dramas vor dem heroischen ist, so heißt es stereotyp in den überaus zahlrei­chen Schriften zur Verteidigung der neuen Gattung, daß es „einen grössern Nutzen stiftet“6. Unter Nutzen ist sittliche Besserung zu verstehen, „nützliche Moral“7. Erzielt wird diese je­doch nicht, wie in der Heldendramatik, durch den „kalten Affekt“ der intellektuellen Bewun­derung unempfindlich standhafter Übermenschen, sondern durch die Wirkung auf das Gemüt, auf die Gefühle, mit andern Worten: durch die „Rührung“.

[...]

Wie aber erreicht der „bürgerliche“ Dramatiker diese Besserung durch Rührung? Am si­chersten, wenn er dem Zuschauer eine ununterbrochene und ungetrübte Wirklichkeitsillusion vermittelt, also eine Vorspiegelung des gegenwärtigen „gemeinen Lebens“, wie das Publikum es aus der täglichen Erfahrung kennt. „Tugenden, Laster, Begebenheiten, alles ist uns wahr­scheinlicher, weil sie aus der Sphäre unserer eignen Erfahrung genommen sind.“ „Wir sind so­zusagen unter uns, und nehmen an dem, was vorgeht, umso mehr Anteil, als das, was wir sehen, unseren Anverwandten, unsern Freunden - uns selbst begegnen kann.“9 „Wir“ finden also im bürgerlichen Drama (im Unterschied zum historisch-theologisch-politischen Heldendrama) „unsere“ Wirklichkeit auf der Bühne wieder. Das ist von entscheidender Wichtigkeit in der Theorie des bürgerlichen Dramas; denn nur durch eine derart vollkommene Illusion ist jene Identifikation unserer selbst mit den auf der Bühne weniger agierenden als lebenden dramatis personae möglich, welche ihrerseits die unentbehrliche Voraussetzung dafür ist, daß wir gerührt werden, Mitleiden und Mitfreude empfinden. Wer „wir“ sind, dürfte dabei keinem Zweifel mehr unterliegen: wir sind, so heißt es schon 1755 bei Pfeil, „keine Sieger, keine Tyrannen, keine ihrer Kronen und ihres Lebens beraubte Prinzen; sondern Bösewichter und redliche Männer, wie wir sie täglich im gemeinen Leben wahrnehmen“, mit einem Wort „Privatperso­nen“10. Was „wir“ Zuschauer mit den Menschen des bürgerlichen Dramas der ersten Phase ge­meinsam haben, ist in der typischen Theorie dieses Dramas also nicht so sehr die gesellschaftli­che Schicht (Stand, Klasse) und deren spezielle soziale Probleme wie etwa Ständekonflikt, von Standes- oder Klassenbewußtsein ganz zu schweigen, sondern die vom Bereich des Geschicht­lich-Öffentlichen abgegrenzte „sich fühlende“ Mitmenschlichkeit, an der der Sache nach „das ganze menschliche Geschlecht“ teilhat, wie es bei Sonnenfels heißt11.

[...]

Hier war Lessing der Pionier mit seiner Miß Sara Sampson (1755). Es ist das erste deut­sche Drama, das sich selbst als bürgerliches Trauerspiel ausgibt, das erste auch, das der Sache nach diesem Typus entspricht, wie man ihn damals versteht. Daß es als solches „Epoche mach­te“, bemerkten schon die Zeitgenossen14. Nicht bedeutet das jedoch, daß der Tragiker Lessing dem Adjektiv „bürgerlich“ einen gegenüber Gellerts „Lustspielen“ neuen Sinn verliehen hätte. Denn im Unterschied zu George Lillosdomestic tragedy“ George Barnwell or The London Merchant (1731), die Lessing möglicherweise Anregungen vermittelt hat, fehlt in Miß Sara Sampson völlig die Bindung der Personen an einen mittelständischen Erwerbsberuf und an ein entsprechendes standestypisches Denken oder gar Selbstbewußtsein. Bürgerlich ist also ... Lessings Stück zunächst im Wortverstand von „mitmenschlich-privat-moralisch-gefühlvoll“. Als Trauerspiel erfüllt es aber, anders als das noch so ernsthafte Lustspiel, seine „Bestimmung“ - nämlich „unsere Fähigkeit, Mitleid zu fühlen [zu] erweitern“ -,indem es die moralische Vollkommenheit im Unglück,den tugendhaften Menschen im Leiden zeigt (Lessing an Nicolai, [13.] November 1796).

Diese bürgerliche Tugend im Sinne der empfindsamen zweiten Jahrhunderthälfte ver­körpert Mellefonts Geliebte Sara in prononciertem Gegensatz sowohl zu ihrer Rivalin, der ge­wissenlos egoistischen, von Mellefont verlassenen Marwood, wie auch zu dem subjektivistisch emanzipierten, aber innerlich haltlosen Verführer Mellefont. Dramatisch und menschlich wirk­sam wird diese Tugend indessen nur dadurch, daß sie nicht von Anfang an als unangreifbar per­fekt vorgeführt wird - das entspräche den Denkformen der Märtyrertragödie -, sondern zu­nächst einmal als gebrechlich und erschütterlich. Als „Heilige“ wird Sara nicht zufällig erst im Schlußakt, kurz vor ihrem Tode, apostrophiert (V, 10). Vor diesem Stadium ist die mit ihrem Liebhaber aus dem väterlichen Hause Entflohene, wie manche neuere Deutungen nachdrück­lich hervorgehoben haben, noch durchaus fehlbar.

[...]

Mit Miß Sara Sampson, die, wie vielfache Berichte über erfolgreiche, das heißt zu Trä­nenfluten rührende Aufführungen bekunden, den Nerv der empfindsamen Zeit traf, vermittelte Lessing seinen Zeitgenossen ein Modell, das seine- durchweg weniger erfolgreichen und litera­risch weniger bedeutsamen - Nachahmer immer wieder aufgriffen. Alle Charakteristika waren hier versammelt, die nicht nur dem bürgerlichen Trauerspiel, sondern zugleich auch, allenfalls in nur graduellen Variationen, dem bürgerlichen Drama der Empfindsamkeit überhaupt das Gepräge geben. Dazu gehören in erster Linie die regelmäßig breit ausgemalten emotionalen Si­tuationen.[...]

Diesem Zug zum gefühlsbetonten Verweilen kommt der wesentlich passive Habitus der Hauptperson entge­gen, die in der Miß Sara Sampson -Nachfolge mit wenigen Ausnahmen eine Frau oder ein Mäd­chen ist. Die passive Hauptgestalt, die sich im Grunde nur in immer neuen Akten oder auch Wortgebärden der Großmut betätigt, ist geradezu konstitutiv für das ernste bürgerliche Drama.

[...]

 

[Zum Standesunterschied  in den späteren bürgerlichen Trauerspielen:]*

 

Problematischer und differenzierter ist der Standesunterschied dort gesehen, wo er tragisch aufgefaßt wird, im bürgerlichen Trauerspiel seit Emilia Galotti (1772). Das empfindsame, rein moralisch orien­tierte bürgerliche Trauerspiel der fünfziger und sechziger Jahre, für das die Standeszugehörig­keit der Personen gleichgültig war, wird nun abgelöst durch das sozialständische, das, bei allem Weiterwirken des empfindsamen Typus, für die siebziger und achtziger Jahre, bis zu Kabale und Liebe (1784), kennzeichnend ist. Durchweg sind die dramatis personae hier als Vertreter ei­nes genau fixierten, aus der zeitgenössischen gesellschaftlichen Wirklichkeit reflektierten kon­kreten Standes- und Berufsmilieus und eines entsprechenden sozialen Selbstverständnisses und Ethos dargestellt statt als moralische oder unmoralische Privatmenschen in abstrakter Allge­meinheit: und als solche Standesexponenten geraten sie in tragischen Konflikt miteinander.

[...]

In jedem Fall aber sind es, im Gegensatz zum empfindsamen bürgerlichen Trauerspiel, standesgebundene Verhaltensweisen, die im Licht der Kritik erscheinen. Das bürgerliche Drama hat sozialpolitische Sprengkraft entwickelt.

[...]

Die Zeitgenossen, Goethe eingeschlossen, verstanden Emilia Galotti in überwiegendem Maße als bürgerliche Anklage gegen den fürstlichen Absolutismus und seine Ständegesellschaft oder doch zumindest gegen die damit verbundenen Übelstände. Diese Deutung, die auch heute noch die vorherrschende ist, begreift Odoardo Galotti, den Vertreter prononciert bürgerlicher, antihöfischer Tugendgesinnung, sozusagen als den Sprecher des Dramatikers. Sie setzt voraus, dass Lessing Odoardo rückhaltlos als vorbildlich dargestellt habe, in ihm also „dem Bürgertum ein leuchtendes Fanal seiner moralischen Integrität und sittlichen Kraft“18 errichtet habe.

 

1    Sämtliche Schriften. Hrsg. v. K. Lachmann. 3. Aufl., besorgt von F. Muncker. VII. Stuttgart 1891, S.68.

4    Mit dem ,,unregelmäßigen" Drama wird das bürgerliche identifiziert bei Daunicht,R: Die Entstehung des bürgerlichen Trauerspiels in Deutschland. Berlin 1963.

5    Vgl. Guthke, Das dt. bgl. Trauerspiel, Stuttrgart 1972., S. 15 ff.

6    CH. H. SCHMID: Über das bürgerliche Trauerspiel. In: Litterarische Chronik. Hrsg. v. J. G. Heinzmann. III, 1788, S.205 (zuerst 1768).

9    Schmid, S.212; Th. G. von Hippel, In: F. J. Schneider, Th. G. von Hippel. Prag 1911, Anhang, S.16.

10  G. B. PFEIL: Vom bürgerlichen Trauerspiele. In: Neue Erweiterungen der Erkenntnis und des Ver­gnügens. VI. 31. Stück. 1755, § 5 und 3. (Wiederabgedruckt in Lessing, Miß Sara Sampson. Hrsg. v. K. Eibl. München 1971).

11  J. VON SONNENFELS: Briefe über die Wienerische Schaubühne. 1768. Neudruck: Wien 1884, S.145.

14  J. G. DYK: Nebentheater. V. Leipzig 1787, S.27.

18  Selver, H: Die Auffassung des Bürgers im deutschen  Drama des 18. Jh. Diss. Leipzig 1931,  S.61.

 

Text aus: Karl S. Guthke: Das bürgerliche Drama des 18. und frühen 19. Jahrhunderts; in: Walter Hinck (Hrsg.): Handbuch des deutschen Dramas; Düsselddorf, Bagel 1980, S. 76 - 92

 

1        Folgt man dem Text, so lassen sich verschiedene Bedeutungen des Begriffs „bürgerlich“ in der Zusammensetzung „bürgerliches Trauerspiel“ feststellen.

-   Notieren Sie: Was verstehen Sie gemeinhin unter „bürgerlich“?

-   Schauen Sie in verschiedenen Lexika nach und stellen sie die Begriffsdefinitionen zusammen. Berücksichtigen Sie auch Wörterbücher literarischer Grundbegriffe.

-   Welche verschiedenen Begriffsinhalte sind im Text auszumachen?

-   Stellen Sie die Begriffe vergleichend gegenüber.

-   Entwerfen Sie Arbeitsfragen, die es erlauben, anhand der Bearbeitung der beiden Dramen eine Entscheidung für die eine oder die andere Version zu treffen.

 

2        Der Autor berücksichtigt bei seiner Argumentation auch den Zuschauer. Inwiefern spielen Situation und Reaktion des Zuschauers eine Rolle bei der Fixierung des Begriffs „bürgerlich“?

 

3        In den Konzeptionen der beiden Stücke Emilia Galotti und Miß Sara Samson finden sich gleichfalls verschiedene Versionen des Begriffs „bürgerlich“. Versuchen Sie eine - vorläufige - Zuordnung.

 

4        Entwerfen Sie -ausgehend von den hier angestellten Überlegungen - Fragen, die im Zusammenhang der Interpretation der beiden Dramen bearbeitet werden müssen.

 

1.1.2  Tragik und Tragödie

 

Die Quelle: Aristoteles: Zur Tragödie

 

Es ist also die Tragödie die nachahmende Darstellung einer ernsten und in sich abgeschlossenen Handlung, die eine gewisse Größe hat, in kunstvollem Stil, der in den einzelnen Teilen sich deren besonderer Art anpaßt, einer Handlung, die nicht bloß erzählt, sondern durch handelnde Personen vor Augen gestellt wird und die durch Mitleid und Furcht erregende Vorgänge die Auslösung (Katharsis) dieser und ähnlicher Gemütsbewegungen bewirkt. (...) Die nachahmende Darstellung einer Handlung ist nun die Fabel. Unter Fabel verstehe ich hier die Verknüpfung der Begebenheiten, unter Charakter die sittlichen Eigenschaften, die wir den handelnden Personen zuschreiben, unter Verstand die Fähigkeit, ihre Gedanken in Worten zu entwickeln oder einen Entschluß kundzutun. ... Außerdem sind die Mittel, durch welche die Tragödie den stärksten Eindruck macht, Teile der Fabel, nämlich die Peripetien und Wiedererkennungsszenen.... Der Quellpunkt und gewissermaßen die Seele der Tragödie ist also die Fabel, erst an zweiter Stelle kommen die Charaktere.... Denn die Tragödie ist nun einmal die nachahmende Darstellung einer Handlung und deshalb in erster Linie von handelnden Menschen. Das dritte ist die Gedankenführung. Diese beruht auf der Fähigkeit, das Sachgemäße und Passende zu sagen,.(....)

Wir haben den Satz aufgestellt, die Tragödie sei die nachahmende Darstellung einer in sich abgeschlossenen und vollständigen Handlung, die eine gewisse Größe hat. Es kann nämlich auch eine vollständige Handlung geben, die keine (angemessene) Größe hat. Vollständig aber ist, was Anfang, Mitte und Ende hat. Anfang ist etwas, was selbst nicht notwendig auf etwas anderes folgt, nach dem aber natürlicherweise notwendig oder doch meistens etwas anderes ist oder eintritt. Ende aber ist im Gegensatz dazu etwas, das selbst natürlicherweise notwendig oder doch meistens nach einem anderen ist oder eintritt, auf das aber nichts anderes mehr folgt. Mitte endlich ist etwas, das sowohl selbst auf ein anderes folgt, als auch seinerseits wieder etwas anderes im Gefolge hat.(....)

Es muß daher, wie auch in den andern nachahmenden Künsten der Gegenstand der Darstellung ein einheitlicher ist, so auch die Fabel, da sie Nachahmung einer Handlung ist, Nachahmung einer einheitlichen und vollständigen Handlung sein, und der Zusammenhang muß ein derartig geschlossener sein, daß, wenn man einen Teil versetzt oder wegnimmt, das Ganze zusammenbricht oder doch erschüttert wird. Denn ein Bestandteil, dessen Dasein oder Fehlen sich nicht bemerkbar macht, ist auch kein wesentlicher Teil des Ganzen.

Aus dem Gesagten geht hervor, daß es nicht die Aufgabe des Dichters ist, das, was wirklich geschehen ist, zu erzählen, sondern das, was hätte geschehen können, d. h. was nach Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit möglich ist. .... Denn die Poesie richtet sich mehr auf das Allgemeine, während die Geschichtsschreibung das Einzelne erzählt. Das Allgemeine besteht darin, daß es einem Menschen von bestimmtem Charakter nach Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit zukommt, so oder so zu reden und zu handeln (...) Die Tragödie ist aber nicht nur die Darstellung einer in sich abgeschlossenen Handlung, sondern auch einer solchen, in der Mitleid und Furcht erregende Vorgänge vorkommen. Diese Wirkung wird am meisten dann eintreten, wenn etwas aus dem inneren Zusammenhang heraus wider Erwarten geschieht. In diesem Falle wird das Wunderbare noch mehr Eindruck machen, als wenn es nur von selbst und zufällig eintritt. (...)

P e r i p e t i e ist ... der Umschlag dessen, was man tut, in sein Gegenteil nach Wahrscheinlichkeit oder Notwendigkeit, z. B. wenn im ,Ödipus' der Bote kommt in der Absicht, ihm eine erfreuliche Nachricht zu bringen und ihn von der Furcht betreffs seiner Mutter zu befreien, und nun durch die Enthüllung seiner Abstammung gerade das Gegenteil bewirkt..... In einer E r -  k e n n u n g s s z e n e erfolgt, wie der Name sagt, der Umschlag aus dem Nichtkennen in das Erkennen, das entweder zur Freundschaft oder zur Feindschaft der zum Glück oder zum Unglück bestimmten Personen führt. (...) Das also sind zwei Bestandteile der Fabel, die Peripetie und die Wiedererkennung. Der dritte ist die leidschaffende Tat. Diese besteht in einer Handlung, die entweder den Untergang herbeiführt oder doch Schmerzen verursacht, wie z. B. Tod auf offener Bühne, qualvolle Schmerzen, Verwundungen und was es sonst noch derart gibt.

(...)Da der Aufbau einer idealen Tragödie nicht einfach sein darf, sondern verflochten sein muß und sie, gemäß der ihr eigenen Darstellungsform, solche Handlungen zur Darstellung zu bringen hat, die Mitleid und Furcht erregen, so ist fürs erste klar, daß darin weder sittlich besonders tüchtige Menschen vorkommen dürfen, die vom Glück ins Unglück stürzen - denn das erregt weder Furcht noch Mitleid, sondern ist einfach entsetzlich -, noch Schurken, die vom Unglück ins Glück kommen denn das wäre das Alleruntragischste, und ein solches Motiv ließe alles vermissen, was man hier braucht: es würde weder menschliche Teilnahme noch Mitleid und Furcht erwecken. Es dürfen jedoch auch nicht ganz böse Menschen aus dem Glück ins Unglück geraten. Die menschliche Teilnahme würde das ja zwar berühren, aber weder Mitleid noch Furcht erregen... Es bleibt also derjenige Typus übrig, der zwischen diesen Extremen die Mitte hält. Ein solcher ist, wer sich weder durch Tugend und Gerechtigkeit auszeichnet, noch infolge von Schlechtigkeit und Schurkerei ins Unglück gerät, sondern durch irgendeinen Fehltritt. Und zwar werden es Menschen in hoher Stellung und glücklichen äußeren Verhältnissen sein, wie Ödipus und Thyestes und andere hervorragende Männer aus solchen Geschlechtern.

(...). Da nun der Dichter durch seine nachahmende Darstellung denjenigen ästhetischen Genuß bereiten soll, der auf der Grundlage von Mitleid und Furcht erwächst, so ist es klar, daß er die Handlung auf diese Wirkung hin anlegen muß. Sehen wir nun zu, welcher Art die furchtbaren und welcher Art die Mitleid erregenden Vorgänge sind!... der Dichter (muß) auf solche Fälle ausgehen, in denen leidschaffende Taten in befreundeten Kreisen vollbracht werden wenn also z. B. der Bruder den Bruder, oder der Sohn den Vater, oder die Mutter den Sohn, oder der Sohn die Mutter tötet oder töten soll, oder sonst ein Verwandter etwas Derartiges tut.(...)

Jede Tragödie besteht aus der S c h ü r z u n g  u n d   L ö s u n g einer Verwicklung. Das, was außerhalb des Stückes liegt, und einige Vorgänge innerhalb desselben bilden die Schürzung; der Rest kommt auf die Lösung. Unter Schürzung verstehe ich den Teil der Tragödie, der sich vom Beginn bis zur äußersten Grenze des Abschnitts erstreckt, in dem der Umschlag ins Glück oder ins Unglück einsetzt, unter Lösung den Teil, der vom Beginn des Umschlags bis zum Ende reicht, ...

(Text aus: Aristoteles, Hauptwerke; ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von Wilhelm Nestle; Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 1963, S. 344 - 365; Text gekürzt)

 

1        Welchen Unterschied sieht Aristoteles zwischen der Tragödie und der Geschichtsschreibung?

 

2        Was macht nach Aristoteles eine „gute Tragödie“ aus?

a)    Aus welchen Teilen besteht sie?

b)    Welche Bedingungen müssen diese Teile erfüllen?

 

3        Was versteht Aristoteles unter der „Fabel“?

a)    Aus welchen „Teilen“ besteht sie?

b)    Was fordert Aristoteles für  die Fabel? Wann kann man von einer „einheitlichen Fabel“ sprechen?

 

4        Wie stellt sich Aristoteles den „idealen“ tragischen Helden vor, der besonders gute Wirkung erzielt?

 

5        Untersuchen Sie genauer, welche Wirkung nach Aristoteles eine gute Tragödie haben soll.

a)    Klären Sie die Begriffe „Mitleid“, „Furcht“ und „Katharsis“ (Achten Sie genau auf das, was Aristoteles sagt!)

b)    Was an der Tragödie soll diese Wirkungen erzielen?

 

 

1.2.2    Das Konzept Lessings

 

G.E. Lessing: Hamburgische Dramaturgie

VIERZEHNTES STÜCK

 Den 16. Junius 1767

[...]

 Die Namen von Fürsten und Helden können einem Stücke Pomp und Majestät geben; aber zur Rührung tragen sie nichts bei. Das Unglück derjenigen, deren Umstände den unsrigen am nächsten kommen, muß natürlicherweise am tiefsten in unsere Seele dringen; und wenn wir mit Königen Mitleiden haben, so haben wir es mit ihnen als mit Menschen und nicht als mit Königen. Macht ihr Stand schon öfters ihre Unfälle wichtiger, so macht er sie darum nicht interessanter. Immerhin mögen ganze Völker darein verwickelt werden, unsere Sympathie erfodert einen einzelnen Gegenstand, und ein Staat ist ein viel zu abstrakter Begriff für unsere Empfindungen.

[...]

 

FUNFUNDSIEBZIGSTES STUCK

Den 19. Januar 1768

[...]

wenigstens ist es unleugbar, daß Aristoteles entweder muß geglaubt haben, die Tragödie könne und solle nichts als das eigentliche Mitleid, nichts als die Unlust über das gegenwärtige Übel eines andern erwecken, welches ihm schwerlich zuzutrauen; oder er hat alle Leidenschaften überhaupt, die uns von einem andern mitgeteilet werden, unter dem Worte Mitleid begriffen.

Denn er, Aristoteles, ist es gewiß nicht, der die mit Recht getadelte Einteilung der tragischen Leidenschaften in Mitleid und Schrecken gemacht hat. Man hat ihn falsch verstanden, falsch übersetzt. Er spricht von Mitleid und Furcht, nicht von Mitleid und Schrecken; und seine Furcht ist durchaus nicht die Furcht, welche uns das bevorstehende Übel eines andern für diesen andern erweckt, sondern es ist die Furcht, welche aus unserer Ähnlichkeit mit der leidenden Person für uns selbst entspringt; es ist die Furcht, daß die Unglücksfälle, die wir über diese verhänget sehen, uns selbst treffen können, es ist die Furcht, daß wir der bemitleidete Gegenstand selbst werden können. Mit einem Worte: diese Furcht ist das auf uns selbst bezogene Mitleid.

Es beruhet aber alles auf dem Begriffe, den sich Aristoteles von dem Mitleiden gemacht hat. Er glaubte nämlich, daß das Übel, welches der Gegenstand unsers Mitleidens werden solle, notwendig von der Beschaffenheit sein müsse, daß wir es auch für uns selbst (oder für eines von den Unsrigen) zu befürchten hätten. Wo diese Furcht nicht sei, könne auch kein Mitleiden stattfinden. Denn weder der, den das Unglück so tief herabgedrückt habe, daß er weiter nichts für sich zu fürchten sähe, noch der, welcher sich so vollkommen glücklich glaube, daß er gar nicht begreife, woher ihm ein Unglück zustoßen könne, weder der Verzweifelnde noch der Übermütige pflege mit andern Mitleid zu haben. Er erkläret daher auch das Fürchterliche und das Mitleidswürdige eines durch das andere. Alles das, sagt er, ist uns fürchterlich, was, wenn es einem andern begegnet wäre (oder begegnen sollte) unser Mitleid erwecken würde. und alles das finden wir mitleidswürdig, was wir fürchten würden, wenn es uns selbst bevorstünde.[...]  Aus dieser Gleichheit entstehe die Furcht, daß unser Schicksal gar leicht dem seinigen ebenso ähnlich werden könne, als wir ihm zu sein uns selbst fühlen; und diese Furcht sei es, welche das Mitleid gleichsam zur Reife bringe.

[...]

Text aus: G.E.Lessing:Hamburgische Dramaturgie; in: Lessings Werke in fünf Bänden; Vierter Band; hersg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassichen deutschen Literatur in Weimar; Aufbau-Verlag; Berlin und Weimar 1965; S.71f.; 363- 366)

 

1        Wie interpretiert Lessing die aristotelischen Begriffe Furcht und Mitleid? Versuchen Sie, genau die Stellen zu identifizieren, auf die sich Lessing im Einzelnen bezieht.

a)  Welche „Fehldeutungen“ lehnt er ab?

b)  Was ist „Ziel“/“Objekt“ des Mitleids?

c)  Wem/was gilt die Furcht?

 

2        Nach Aristoteles bewirkt das Drama beim Zuschauer eine „Katharsis“ (= Reinigung) durch die Erzeugung von foboV (=Furcht) und eleoV (=Mitleid). Was wird nun Lessing unter „Katharsis“ verstehen?

         

3        Was kann nun das „bürgerliche Trauerspiel“ an Wirkung erreichen?

 

 

3.2    Miß Sarah Sampson

3.2.0  Einstieg

 

1        Ehe Sie das eine oder andere konkrete Problem in Angriff nehmen und bearbeiten, sollten Sie sich in der Gesamtgruppe über Ihre ersten Eindrücke unterhalten. Sie können dabei

-   Ihre Sympathien und Antipathien äußern,

-   Ihre Vermutungen über Handlungsabsichten und Hintergründe vorbringen,

-   „Dinge“, die sich nicht verstanden haben, benennen,

-   Ihre Vermutungen zum „Sinn“, zur „Gesamtbedeutung“ („Was soll das Ganze überhaupt?) vortragen.

          Sie können  sich auch an Fragen orientieren, wie z.B.:

-   Was hat besonders beeindruckt?

-   Was ist für einen heutigen Menschen nicht mehr oder nur schwer nachvollziehbar?

-   Was kann ich verstehen? Was lehne ich ab?

-   Welche Figur(en) ist (sind) mir sympathisch, welche unsympathisch? Warum?

Hinweise:

-   Während des Gesprächs sollte jemand wichtige Stichpunkte festhalten.

-   Gegen Ende des Gesprächs sollten Sie sich mehr und mehr darum bemühen, Ihre (vorläufigen) Deutungen als Hypothesen auszuformulieren, die weiter untersucht werden müssen, oder Fragen und Problemstellungen zu formulieren.

 

2        Sollte Ihre „Gespräch“ nicht richtig in Gang kommen, so können Sie  auch so verfahren:

-   Jeder notiert auf einem Zettel sein „Gesamturteil zum Stück“.

-   Auf vier weiteren Zetteln notiert jeder (mindestens) vier Fragen, Probleme, Themen, die ihm so wichtig erscheinen, dass darüber gesprochen werden sollte.

-   Die Zettel werden eingesammelt und „sortiert“.

-   Die erste Gruppe von Zetteln (Gesamturteil) wird vorgelesen und verglichen. Sie können nun „Vermutungen“ anstellen über mögliche Urteilsgründe.

-   Die weiteren Zettel werden - nach Themen geordnet - aufgeklebt und ausgehängt. Die weitere Arbeit könnte sich - zumindest zum Teil - an diesen Problemkreisen orientieren.

Hinweis:    Die von Ihnen zusammengetragenen Fragen sind besonders wichtig. (Schließlich sind es ja Ihre Fragen. Aber einige dieser Fragen lassen sich - vermutlich - erst genauer bearbeiten, wenn einzelne Gesichtspunkte, die das Stück und seine Strukturen betreffen, schon bekannt sind. Einige Probleme sind für heutige Menschen nur noch schwer nachvollziehbar. Da wird es notwendig, sie in ihrem ursprünglichen Zeithorizont zu sehen. Deshalb schlagen wir hier einige Arbeitsbereiche vor, die Sie entweder mit Ihren Fragekreisen verbinden oder vorab klären sollten. Am Ende aber sollten Sie auf jeden Fall auf Ihre Fragen, Probleme und vor allem auf Ihre Hypothesen zurückkommen.

2        Angenommen, das im Drama Dargestellte sei in Wirklichkeit passiert: Verfassen Sie einen Zeitungsbericht zum Thema „Mord und Selbstmord im Landgasthof zu...“

 

Beachten Sie dabei die Grundregeln für den Aufbau eines Zeitungsberichts:

Im „Kopf“ (also im fettgedruckten ersten Abschnitt) sollten Sie sich auf die zentrale Nachricht beschränken.

Im ersten Abschnitt sollte der Hergang des Geschehens in zeitlicher Reihenfolge dargestellt werden.

Im zweiten Abschnitt werden nähere Einzelheiten mitgeteilt. in den weiteren Abschnitten wird über weitere Einzelheiten, Hintergründe, Zeugenaussagen usw. berichtet

3        Bei der Präsentation Ihrer Ergebnisse sollten die Zuhörer auf folgende Punkte besonders achten:

            - Welche Gründe und Hintergründe werden dargestellt?

            - Welchen Anteil am Geschehen haben die einzelnen Figuren?

 

4        Verfassen Sie eine „Chronologie der Ereignisse“ in Stichpunkten. Sie sollten dabei möglichst alle Ereignisse, die im Text eine Rolle spielen bzw. erwähnt werden, berücksichtigen.

 

5        Markieren Sie nun den Ausschnitt, der auf der Bühne selbst dargestellt wird, und beschreiben sie das Umfangsverhätnis der Teile zueinander.

          Markieren Sie mit verschiedenen Farben die Zusammenhänge der Ursache und Wirkung, Grund und Folge, Handlung und Absicht.

          Welche Vermutungen lassen sich nun im Hinblick auf die Bedeutung der einzelnen Teile anstellen?

 

2.1     Die Handlung

 

1        Untersuchen Sie genauer: Wo entwickelt die Handlung eine gewisse „Zwangsläufigkeit“? Wo hätte es noch Handlungsalternativen gegeben? Welche Bedingungen hätten da verändert werden müssen?

 

2        Welche Bedeutung kommt dem „Handlungsort“ zu?

          - Beschreiben Sie den Ort der Handlung genauer. (Beachten Sie die Regieanweisungen sowie die Äußerungen der handelnden Figuren!)

 

Text L2

 

...   im Hinb1ick auf den allenthal­ben eingeklagten Pragmatismus zugunsten einer neuen, men­schenwürdigen Gesittung erhält der Ort des Geschehens zei­chenhafte Bedeutung. Der Gasthof ist, zumal im Drama des 18. Jahrhunderts, eine gern und oft gewählte Szenerie, die sich gemeinhin insofern empfiehlt, als sich dort, auf recht neutralem Terrain, die Personen je nach Bedarf der Handlung zwanglos und ohne sonderliche Argumentationsnöte zusam­menführen lassen.

[...]

Demgegenüber erhebt Lessing diesen Hand­lungsort ... in den Stand des Symbols. Der Gast­hof stellt sich hier als eine befristete Behausung dar, der das Wohltuende der Geborgenheit üblicherweise fehlt, und wenn der wohlhabende Kaufmann Sampson dieses Lokal mit der von Befremden und Entsetzen zeugenden Bemer­kung betritt: ,,Hier meine Tochter? Hier in diesem elenden Wirtshause?«, dann hebt er nicht nur das Kaschemmen- und Spelunkenartige dieses Etablissements ans Licht, an dem sich der soziale und moralische Reputationsverlust seiner geliebten Tochter ablesen lassen könnte, sondern er markiert diese dubiose Unterkunft zugleich auch... als Inbegriff des Transitorischen. Von diesem Ort aus, wo kein Verblei­ben sein darf, gilt es, zu einer neuen, sittlich vertretbaren Lebensordnung fortzuschreiten, wie immer diese konkret auch aussehen mag.

Nun fehlt es ja auch keiner der Personen, die in dem namenlo­sen Gasthof zusammenkommen, an der - sich freilich von höchst unterschiedlichen Beweggründen herleitenden - Ent­schlossenheit, diesen Ort der freiwilligen oder unfreiwilligen Begegnung alsbald und möglichst glücklich zu verlassen....

Text aus: Wolfgang Kuttenkeuler: Miß Sara Sampson; in: Interpretationen. Lessings Dramen. Philipp Reclam jun. Stuttgart ; 1987, S. 15 - 17

(Anmerkungen gestrichen)

 

3        Der Text sieht in dem Ort ein „Symbol“.

          - Machen Sie sich klar, was ein Symbol ist und wie es „funktioniert“.

          - Beschreiben Sie den Symbolgehalt des Handlungsortes.

 

4        Untersuchen Sie, wie sich die einzelnen Figuren am und zum Handlungsort verhalten.

 

5        Versuchen Sie die Frage zu klären: Wo könnte man von Tragik bzw. von tragischer Verstrickung sprechen?

          Klären Sie gleichzeitig den Tragik-Begriff, den Sie verwenden.

 

6        Welche Wirkung könnte eine solche Handlungsentwicklung auf die zeitgenössischen Zuschauer ausgeübt haben?

          Zur Beantwortung dieser Frage können Sie die folgenden Texte (und die ihnen angefügten Arbeitshinweise) heranziehen.

 

Text L3

Durch nichts ist die Behauptung zu rechtfertigen, Lessing sei es in seinem Drama „hauptsächlich“ um Rührung und nicht um Belehrung zu tun, und er bringe demgemäß auf der Bühne  „ausschließlich“  zur Darstellung, was zu rühren vermöge. 17

Hingegen spricht alles dafür, daß hier vermittels Einstim­mung, Einfühlung und Mitempfinden ein handlungsorien­tierter Bewußtwerdungsprozeß eingeleitet wird, der im erklärten Gegensatz zu den Gepflogenheiten der Frühaufklä­rung rezept- und thesenartig reduzierbare Lehrmeinungen (idealiter) ebenso hinter sich läßt wie eine bloß Passivität und mehr oder minder erbauliche Realitätsverdrängung zeiti­gende „Intensivierung von Selbstgenuß mittels einer Rüh­rung aller durch alle«18 (Pikulik). Programmatisch bildet sich hier das bürgerliche Trauerspiel zu einem Medium der kriti­schen und selbstkritischen Reflexion aus, indem es seine wirklich bedeutenden Gestalten und die Begebenheiten, in die sie sich in den szenischen Abläufen verwickeln, ver­gleichsweise schwach und schemenartig und jedenfalls nur so weit konturiert, daß sich für den Zuschauer oder Leser keine unnötigen, vielleicht gar willkommenen Hindernisse für eine Identifikation auftuen. Sieht man von den beiden katastro­phalen Affekthandlungen ab, zu denen das Bühnengeschehen hinführt, ohne daß es sie, die Ermordung Saras und den Selbstmord Mellefonts, ins Zentrum der Erörterung brächte, so liegen in der Tat alle markanten, schicksalhaften Ereignisse zeitlich dem weit vorauf, was dann dramatisch vergegen­wärtigt wird. Und was von der Vergangenheit als Vor­geschichte referiert wird, fügt sich durchaus nicht zu einem lückenlosen Bericht zusammen, sondern bleibt trotz aller Bedeutungsschwere auf knappe Anmerkungen und flüchtige Verweise reduziert. Die Rückschau verhilft also nicht zur Abklärung einer einzigartigen, unverwechselbaren Biographie, sondern sie stimuliert zu Kombinationen, durch welche die vorgeführten Gesinnungs- und Verhaltensweisen in ihrer Krisen- und Konflikthaltigkeit einigermaßen ver­ständlich und nachvollziehbar werden. Was die Gestalten des Dramas anbelangt, so bleibt freilich nicht allein ihre vorauf­liegende Lebensgeschichte eigentümlich unprofiliert; auch in den auf dem Theater präsentierten Aktionen nehmen sie nur sehr bedingt individualisierende Umrisse an. Sie erstarren nicht zu Typen, deren Klischeehaftigkeit einschlägige Etiket­tierungen zuließe, als Personen indes prägen sie sich nicht über das hinaus aus, was - die Marwood immer ausgenom­men - das Prinzipielle ihrer Emotionen und Meditationen ausmacht. Wer vom «Schauturnen« als Handlung dieses Les­singschen Dramas spricht, würdigt recht eigentlich, daß in Miß Sara Sampson nicht so sehr Personen mit festen Über-zeugungen und mit prononcierten Empfindungen zur Dar­stellung gelangen, sondern däß sich im szenischen Geschehen weitaus eher personifizierte geistig-seelische Haltungen kon­kurrierend entfalten, die sich unvorgreiflichen Sinns einer kritischen Erwägung anheimstellen.

 

17 Vergl. Lothar Pikulik: „Bürgerliches Trauerspiel“ und Empfindsamkeit, Graz 1966, S.128 und passim

18 Ebd., S.130.

 

Text aus: Wolfgang Kuttenkeuler: Miß Sara Sampson; in: Interpretationen. Lessings Dramen. Philipp Reclam jun. Stuttgart ; 1987, S. 12-14

 

7        Der Text setzt sich zunächst mit der Ansicht von L. Pikulik auseinander.

          - Welche These vertritt Pikulik?

          - Auf welche Passagen des Dramas könnte sich Pikulik stützen?

          - Welche Gegenargumente macht W. Kuttenkeuler geltend?

          - Wie/womit begründet er seinen Standpunkt?

 

8        Der Text sieht in der spezifischen Gestaltung von Handlung und Gestalten einen wesentlichen Impuls zur Reflexion.

          - Wie wird die Gestaltung von Handlung und Figuren charakterisiert?

          - Inwiefern wird gerade dadurch zur Reflexion angeregt?

          - Wohin führten Ihre Reflexionen?

 

9        Wie wirkt die Handlung auf Sie, die heutigen Leser/Zuschauer?

          Beschreiben und begründen Sie Ihre Position.

 

10      Was müsste unter Umständen geändert werden, um eine Wirkung zu erzielen, wie sie sich Lessing möglicherweise zu erzielen wünschte? (Vergl. Text zur Katharsis!)

 

 

2.2       Die Figuren

 

1        Erstellen Sie zunächst ein Konfigurationsschema, imn dem Sie die beteiligtne Figuren, ihre wesentlichen Merkmale und die beziehungen der Figuren zueinander eintragen.

 

2        Untersuchen Sie die wichtigsten Figuren genauer. die folgendne Textausschnitte  und die Arbeitsfragen können Ihnen weiterhelfen.

 

Sara: Sünderin oder Heilige?

Text L4

Sara steigt im Sinne Lessings zur »Heiligen» auf. Aber wenn ihr Läuterungsprozess verbürgt, daß sich das bürgerliche Trauerspiel hier als »Schule der moralischen Welt» ausweist, dann bleibt zu bedenken, daß die Kaufmannstochter als »verführte Unschuld» ethische Postulate über eine Lebenswirklichkeit spricht, von der sie sich, den Tod vor Augen, ihrerseits abwendet. Orientierungsmodelle für die Ausbildung oder doch wenigstens für die Erprobung einer neuen menschenwürdigen Gemeinsamkeit liefert sie nicht. Solange sie im Bann der alltäglichen Lebenswirklichkeit

steht, macht sie sich eine »Zärtlichkeit des Herzens» zu eigen, die eine mit Arroganz gepaarte soziale Isolation nach sich zu ziehen pflegt.

Dies gilt nicht nur, wie ausgeführt, für Saras Verhältnis zu Sir William, ihrem Vater. Auch ihr Verhältnis zu dem zweifellos leidenschaftlich geliebten Mellefont ist von einer Art, die, geradezu »komisch» anmutend, die Liebesbeziehung per­vertiert, und das in demselben Maße, wie das Dialogische als Existenzform selbstgefällig oder doch selbstgenüßlich durch das Monologische verdrängt wird und, paradox genug, der Wille zur Vermählung mit der Diskreditierung des Sozialen mit seinen traditionellen Organisations- und Ordnungsfor­men einhergeht. Ihr Heiratsverlangen mutet eigentümlich egozentrisch an, wenn sie bedrängend auf den notorischen Zauderer Mellefont einredet[...]

Zutreffend bemerkt Hans Rempel (Tragödie und Komödie im dramatischen Schaffen Lessings, Berlin 1935, reprogr. Nachdr. Darmstadt 1967, S. 38):

,,Lessing hat Sara in keiner Weise zur Trägerin einer Idee gemacht, die sich erst in der Heldin durchzusetzen hätte. [...] Sara ist im Verlauf des Stückes vor keine einzige sittliche Entscheidung gestellt. Sie ist eigentlich nie Ziel des Geschehens, genau wie die passiv-komischen Personen in der Komödie“

[...]

Erst nach ihrem mörderischen Anschlag, der allen Spekulationen über eine - im vollen Wortsinn - Re­sozialisierung von Sir Williams gestrauchelter Tochter ein Ende aufzwingt, avanciert Sara quasi zu einer Instanz, von deren moralischen Leitvorstellungen ein reformerischer Auf­ruf zugunsten einer neuen, an der Verführbarkeit und Hinfäl­ligkeit des Menschen orientierten humanen Gesittung aus­geht. Und eben dieser Appell erfolgt sodann um so nach­drücklicher, als die Not des ganz nahen und unabwendbaren Todes von der Tugend einer vorbildlich-exemplarischen, fak­tisch-konkreten Einlösung der Maximen entbindet. Bis zu dieser von außen betriebenen Wende aber, die zerstöreri­schen Niedergang und verklärende Erhebung zugleich bedeutet, fungiert das Ethos der schönen »Schwärmerin« unbeschadet aller Reumütigkeit als ein Schild, der erwiese­nermaßen der allseitigen Abschirmung und Ausgrenzung dient und der vornehmlich von einer Problematisierung der eigenen Existenz abhält.

 

Text aus: Wolfgang Kuttenkeuler: Miß Sara Sampson; in: Interpretationen. Lessings Dramen. Philipp Reclam jun. Stuttgart ; 1987, S. 24 ff.

(Anmerkungen gestrichen)

 

3        Der Text spricht von ethischen Postulaten. Auf welche Aussagen des Dramas wird da angespielt?

 

4        Wie beurteilt der text Sara im Rahmen der Konfiguration?

 

5        Welche Rolle spielt für Sara die „Institution Ehe“?

 

6        Was ist „tragisch“ an der Figur der Sara?

 

Die Marwood: Das personifizierte Böse?

Text L 6

Der Freiraum, den Sara und Sir William als die Protagonisten einer offenbar allzu „sinnreich" zergliederten Empfindsamkeit stiften, wird denn auch prompt und mit zynischer Logik von jener „Buhlerin" Zug um Zug eingenommen, die, geprägt durch höchst dubiose, sozial diskreditierende Erfahrungen, moralische Skrupel nicht kennt; eine die Tat hem­mende Sensibilität muß sie als Alfanzerei von sich weisen. Wo die anderen das Zepter des Handelns preisgeben, richtet sich die »böse«, nicht ohne triftigen Grund als »Schlange« (II,3) gescholtene Marwood gewitzt und gewieft auf die konkreten Gegebenheiten aus, um die vorherrschende Orientierungslo­sigkeit für die Verwirklichung ihrer egozentrischen Wünsche auszubeuten.

Ganz und gar ein Genie dessen, was das 18. Jahrhundert als Kabale zu apostrophieren und als solche üblicherweise der aristokratisch-höfischen Lebenswelt zuzuschreiben pfleg­te, verfügt nur die Marwood, die das literarische Urbild der Mätresse abgibt, über die Einsicht und Umsicht, die Hand­lungsfäden, koste es, was es wolle, zu ihren eigenen Gunsten zu entwirren. Mag ihr als Mörderin zuletzt der Triumph gerechterweise vorenthalten bleiben und nur noch die Gnade der Flucht in eine zukunftslose Beliebigkeit zuteil werden, so stellt sie doch bis zu diesem Zeitpunkt, an dem sie ein Opfer ihrer enthemmten Affekte und nicht der gesellschaftlichen Moral wird, immer wieder die Weltklugheit, wie sie sie ver­steht, unter Beweis.

Und die mittelfristigen Erfolge, die sie erzielt, sind ihr nicht streitig zu machen, und hinsichtlich der Lebens- und Welt­kenntnis sind sie in ihrem Verweisungswert auch nicht zu unterschätzen...

[...]

Was die Marwood auszeichnet, ist mehr als ein exquisiter detektivischer Sinn und mehr als die moralische Skrupellosig­keit, den anderen als Erfüllungsgehilfen ihrer Begierden zu instrumentalisieren. Als überlegen erweist sie sich dank ihrer aller Prinzipientreue abschwörenden Fähigkeit, sich präzis in die Vorstellungswelt ihrer Mitmenschen hineinzuversetzen.

Text aus: Wolfgang Kuttenkeuler: Miß Sara Sampson; in: Interpretationen. Lessings Dramen. Philipp Reclam jun. Stuttgart ; 1987, S.29 - 31

7          Beschreiben Sie genauer die einzelnen Handlungen der Marwood:

          - Was tut sie?

          - Wie begründet sie ihr Tun?

          - Wie bewertet sie ihr Tun?

 

8        Wie sieht der Text die Marwood?

          - Inwiefern zeigt sie Einsicht und Umsicht?

          - Welches Prinzip verkörpert sie?

 

9        Wie beurteilen Sie die Marwood?

          - Vergegenwärtigen Sie sich ihre Situation.

          - Beurteilen Sie ihr erstes Handlungsziel.

          - Wie beurteilen Sie dasweitere Vorgehen? (Beachtne Sie auch ihre Einstellung zu ihrem Kind!)

 

10      Die Marwood - eine „tragische Figur“?

          - Welche Handlungsalternative hatte sie?

          - Woran orientiert sie letztlich ihr Handeln?

          - Wie steht sie zu den Konsequenzen ihres Handelns?

 

Mellefont - Schwächling, Egoist oder was?

 

Text L7

Als hätte er nicht kurz zuvor der Mar­wood den Dolch entwinden müssen, der ihn selbst an Leib und Leben bedrohte, findet er sich nun bereit, die wortreich Gescholtene und Geschmähte, Inbegriff des «rasenden Weibes«, ihrer gehaßten Rivalin Sara als Lady Solmes anzuemp­fehlen. Ohne daß hier etwas rational zu begründen wäre - es sei denn als psychologisch interpretierbare Hörigkeit - und. ohne daß aus den voraufgegangenen Begebenheiten Erfah­rungswerte wie Umsicht und Fürsorge abgeleitet würden, verrät Mellefont die Kaufmannstochter, die er - freilich nach seinen Begriffen - liebt und verehrt, gleich mehrfach: er akzeptiert und unterstützt das Täuschungsmanöver, das der Marwood eine Begegnung mit ihrer Widersacherin erst ermöglicht, und er liefert die ahnungslose Sara sodann voll­ends aus, indem er sich in fataler Unbekümmertheit von dem Treffen der beiden Kontrahentinnen zurückzieht, so als bedürfte ihr Zusammensein nicht zu jeder Zeit eines Höchstmaßes an kontrollierender, schützender und abwehrender Wachsamkeit.

Wenn sich Mellefont zuletzt zu der vom Tode gezeichneten Sara zurückwendet und durch seinen Freitod zum Aus­druck bringt, daß es für ihn ohne Sir Williams Tochter kein sinnerfülltes Leben mehr geben kann, so handelt es sich bei diesem reuevollen Bekenntnis ganz ohne Zweifel um ein Zeugnis menschlich beeindruckender und anrührender Läuterung.

Text aus: Wolfgang Kuttenkeuler: Miß Sara Sampson; in:Interpretationen. Lessings Dramen. Philipp Reclam jun. Stuttgart ; 1987, S. 34 f.

 

11      Wie bewertet der Text die Figur?

 

12      Wie beurteilen Sie Mellefont und sein Verhalten?

 

13      Klären Sie in einem Prozess die „Schuldanteile“ der einzelnen Figuren.

          - Stellen Sie die Motive und Selbstbewertungen gegenüber.

          - Fragen Sie nach Handlungsalternativen.

          - Klären Sie auch die jeweils zugrunde liegenden Handlungsmaximen.

 

 

2.3     Zusammenführung

 

1        Die beiden Arbeitsgruppen (Handlung und Konfiguration) sollten nun ihre Ergebnisse austauschen und erste Präsentationskonzepte ausarbeiten. Dabei könnten schon einige Teile des bisher Erarbeiteten entfaltet werden. Der folgende Text gibt nochmals einen Überblick über Lessings Stück. Er könnte auch als Anregung genutzt werden, ein Feature zu entwerfen zum Thema: Miß Sara Sampson - oder der „Druck auf bürgerliche Tränendrüsen“.

 

Text L8

Nach einem Intervall von vier Jahren, einer für Lessing eher langen Zeit, setzt nun die Reihe seiner Meisterdramen ein. 1754 kommt Miss SARA SAMPSON heraus, das erste der Stücke, die auch heute noch zum Repertoire unserer Bühnen gehören. Nicht ohne große Schwierig­keiten freilich. Denn hier wird nun zum ersten Mal ein Haupthindernis für Lessings Kunst in unserer Zeit ganz klar, ein Widerstreit, der freilich schon in seiner eigenen inneren Existenz bestand, ja überhaupt im Wesen des 18. Jahrhunderts. Man definiert dieses höchst mangelhaft, wenn man es Aufklärung nennt, siècle des lu­mières - man könnte es ebenso gut Zeit der Tränenseligkeit nennen, je nachdem, ob man nach der Philosophie oder der Empfindsamkeit blickt, nach Voltaire und seinesgleichen oder nach den Engländern und Rousseau. Man weint hemmungslos im 18. Jahrhundert, und alle tun es, Männer und Frauen, Alte und Junge. Nicht nur aus Schmerz, vor allem aus Rührung, aus dem Selbstgenuß der Empfindung. Geht nun diese doppelte Artung bei einem Diderot, der vielleicht Lessing noch am ehesten verglichen werden könnte, ohne tieferen Bruch zusammen, so wird sie bei Lessing zu einer steten Quelle des Widerspruchs. Nichts ist dem Menschen Lessing ferner als Rührseligkeit. Wir wissen, daß seine Freunde in ihren Briefen an ihn sich darin mäßigten und dämpften, wir wissen aus seinen eigenen Briefen, welcher Verschwie­genheit und stoischen Haltung er fähig war. Aber in seinen Dramen, besonders in der frühen Miss SARA SAMPSON, spricht er die Sprache seines Jahrhunderts und läßt er die Tränen seiner Zeit fließen. Das vor allem macht dieses Stück für uns Heutige schwierig. Wir miß­trauen den Tränen, sollten allerdings auch einer Zeit mißtrauen, die die «Gabe der Tränen» verloren hat.

Es wird keine andere Lösung geben, als daß die Darsteller der Miss SARA SAMPSON meist ohne Tränen weinen, nach innen. Verfälschen wird man Lessing dadurch nicht, ganz im Gegenteil. Genauso wie wir Heutigen im Versdrama die Deklamation weitgehend ver­dammen, dafür aber die stilisierte Sprachhaltung, die das Wesen des Verses ist, nicht verlieren dürften, so müssen wir bei Lessing die große Empfindung verwirklichen, wenn auch mit etwas anderen Mitteln als denen, die zu seiner Zeit auf dem Theater angewendet wurden. Ein Gleiches gilt für sein Pathos der Tugend. Wir müssen herausholen, was er unter Tugend verstand, unter Tugend lebte, und das Wort Tugend von aller Lüge, die es verunreinigt hat, entgiften, es ins Unauffällige, Schlichte verweisen.

In Miss SARA SAMPSON ist Lessings Durchbruch zum englischen Geist offenbar geworden. Richardson und seine «Clarissa» sind seine direk­ten Quellen, dazu kommen Lillo und Congreve (der Name Mellefont stammt von ihm). Englisches Großbürgertum ist das Milieu, in der Erfindung des «bürgerlichen Trauerspiels» sieht denn auch die Litera­turgeschichte das entscheidend Neue, das Lessing hier gestaltet hat. Mit Menschen, wie wir alle es seien, könne das Publikum leichter mit­fühlen als mit den traditionellen Königen und Prinzessinnen der alten Tragödie. Doch sind wir natürlich jeder Armeleute-Dichtung hier sehr fern, jedem Naturalismus entrückt. Geld spielt zwar durchaus seine Rolle - das tut es auf Lessings Theater überhaupt -, aber man ist unter kultivierten Leuten.

Daß hier nicht Adlige auf der Bühne stehen, macht man sich eigent­lich erst klar, wenn man Lessings Deutung des Werks bedenkt. Die Verbindung zur hohen Tragödie ist nicht abgeschnitten. Die prächtig­ste und vom Theaterstandpunkt aus dankbarste Rolle, die Marwood, lebt aus früherem Geist, hier kann man durchaus an antikische (oder auch cornelianische) Wildheit denken, die Marwood ist wirklich eine «moderne» Medea. Viel leichter wird man heutzutage eine richtige Marwood zu sehen bekommen als eine richtige Sara. Viel leichter aber wird auch Mellefont zu verwirklichen sein als etwa Sir William oder Waitwell.

Sara hat sich von dem glänzenden Don Juan Mellefont entführen lassen, sie verläßt sich darauf, er werde sie heiraten, er aber zögert noch unter der Begründung, er müsse eine ihm zugesicherte Erbschaft abwarten. Wieweit das wirklich wahr ist, bleibt im Halbdunkel. Seine frühere Geliebte Marwood, von der er eine Tochter hat, spürt ihn auf; sie will ihn wiedergewinnen, was ihr bei anderen Amouren Mellefonts schon mehrmals gelungen ist. Um ihren Plan sicherer zu unterbauen, hat sie auch dem Vater der Sara mitgeteilt, wo diese zu finden sei - derart treffen also in einem schäbigen Gasthof alle be­teiligten Personen zusammen. Die Marwood rechnete darauf, der Vater Saras werde zwar seine Tochter zurückholen, nicht aber Melle­font annehmen. Das Gegenteil geschieht: Sir William ist um so mehr zu vollem Verzeihen bereit, als er es sich selber nicht verzeiht, so streng zu der Tochter gewesen zu sein und zudem auch Mellefont seinerzeit in sein Haus eingeladen zu haben. Marwood sieht sich um ihre List gebracht. Aber sie weiß mehr. Erstens hat sie durch Arabella, die Tochter, einen mächtigen Trumpf, den sie auch ruchlos ausspielen wird, und zweitens kennt sie die zwielichtige Artung Mellefonts besser als Sara, die nur dessen besseres Selbst kennt.

Die Marwood bringt Mellefont dazu, sie mit Sara unter falschem Namen zusammenzubringen - es ist hier das Gyges-Motiv angetönt: Mellefont möchte, daß die Marwood sieht, wie schön und edel Sara ist. In dieser Befriedigung seiner Eitelkeit vergißt er die Gefährlich­keit seiner früheren Geliebten und verletzt nicht nur ihr Gefühl, sondern, was vielleicht noch mehr zählt, ihre Eitelkeit. So läßt sie ihrer Rache freien Lauf, zunächst noch, indem sie Sara die Unbe­ständigkeit Mellefonts schildert, dann, indem sie ihr von der Tochter erzählt und die Marwood als unschuldiges Opfer hinstellt. Sara läßt sich beinahe täuschen, spricht dann aber aus ihrer lauteren Reinheit heraus streng über die Marwood, worauf diese ihre Maske lüftet. Diese Szene ist unübertrefflich: Ich erschrecke, Lady; wie verändern sich auf einmal die Züge Ihres Gesichts? Sie glühen; aus dem starren Auge schreckt Wut, und des Mundes knirschende Bewegung - Ach! wo ich Sie erzürnt habe, so bitte ich um Verzeihung. Ich bin eine empfindliche Närrin... Wie nun Sara sich vor der Marwood auf die Knie wirft, gibt sich diese zu erkennen: Diese Stellung der Sara Sampson ist für Marwood viel zu reizend, als daß sie nur unerkannt darüber frohlocken sollte - erkennen Sie, Miss, in mir die Marwood, mit der Sie nicht verglichen zu werden, die Marwood selbst fußfällig bitten. - Sara (die voller Schrecken aufspringt und sich zitternd zurückzieht): Sie, Marwood? - Ha! Nun erkenn' ich sie, die mörderi­sche Retterin, deren Dolche mich ein warnender Traum preis gab. Sie ist es! Flieh, unglückliche Sara! Retten Sie mich, Melle font; retten Sie Ihre Geliebte! Und du, süße Stimme meines geliebten Vaters, er­schalle! Wo schallt sie? wo soll ich auf sie zueilen? . hier, . da? . Hilfe, Melle font! Hilfe, Betty! - Jetzt dringt sie mit tötender Faust auf mich ein! Hilfe!

Daß eine Darstellerin die von Sara mit Entsetzen beobachtete Ver­änderung des Gesichts hervorbringen kann, ist wohl selten, aber nicht unmöglich für eine elementare Begabung. Daß aber eine Sara diese letzten Sätze bewältigt, kann nur dann geschehen, wenn sie sich ent­schieden vom «bürgerlichen Trauerspiel» löst und in jene dramatischen Bezirke vordringt, wo die Rede unmittelbar zum Gedicht werden kann. Rein psychologisch, rein gesprächshaft - und wäre es das gehobenste, intensivste Gespräch - ist das nicht mehr zu fassen. Natürlich könnte man die süße Stimme meines geliebten Vaters strei-chen, aber daß es hier so heißt, bezeichnet eben untrüglich den gefor­derten Stil. Noch mehr allerdings tut das die erstaunliche Tatsache, daß die Szene mit einer Gruppe von Daktylen schließt: Jetzt dringt sie mit tötender Faust auf mich ein! . . .

Das Gegenstück zu dieser Szene ist die Auseinandersetzung zwischen Mellefont und der Marwood, wo diese ihn zuletzt zu töten versucht. Hier stößt Lessing in eine Wildheit vor, die selbst in der Antike nicht übertroffen worden ist. Marwood, eine neue Medea, sagt: ... wenn du eine noch grausamere Mutter weißt, so sieh' sie gedoppelt in mir! Gift und Dolch sollen mich rächen. Doch nein, Gift und Dolch sind zu barmherzige Werkzeuge! Sie würden dein und mein Kind zu bald töten. Ich will es nicht gestorben sehen; sterben will ich es sehen! Durch langsame Martern will ich in seinem Gesichte jeden ähnlichen Zug, den es von dir hat, sich verstellen, verzerren und verschwinden sehen. Ich will mit begieriger Hand Glied von Glied, Ader von Ader, Nerve von Nerve lösen, und das kleinste derselben auch da noch nicht aufhören zu schneiden und zu brennen, wenn es schon nichts mehr sein wird als ein empfindungsloses Aas. Ich - ich werde wenig­stens dabei empfinden, wie süß die Rache sei! Und gleich darauf:

Du erinnerst mich, daß ich nicht gegen den Rechten rase. Der Vater muß voran! Er muß schon in jener Welt sein, wenn der Geist seiner Tochter unter tausend Seufzern ihm nachzieht - ... Drum stirb, Verräter! Einsicht, sie treffe mit ihrem Morden nicht den Rechten, hat keine andere Wirkung auf diese neue Medea, als daß sie auch noch ihres Kindes Vater töten will.

Diese Medea ist keine Mutter. Es kostet sie nichts, ihr Kind zu töten. Hier ist die Marwood unserem Mitgefühl absolut entrückt - um so mehr, als Sara Marwoods Kind gegenüber mütterlich empfinden und handeln wird. Die Grusche Brechts ist ihr nicht ganz fern. Marwoods Beschreibung, wie sie Arabella töten werde, ist ein Ausbruch teuf­lischer Mordlust. Lessing ist nie weiter vorgedrungen im absolut Bösen. Wichtig ist nun aber, wie er es motiviert. Seine genaue Aus­malung des Mordens sei Hilfe für die Darstellerin: Wenn ich von einer Schauspielerin hier nichts mehr verlangte, als daß sie mit der Stimme so lange stiege, als es möglich ist, so würde ich vielleicht mit den Worten: verstellen, verzerren und verschwinden, schon aufge­hört haben. Aber da ich in ihrem Gesichte gerne gewisse feine Züge der Wut erwecken möchte, die in ihrem freien Willen nicht stehen, so gehe ich weiter und suche ihre Einbildungskraft durch mehr sinn-

liche Bilder zu erhitzen, als freilich zu dem bloßen Ausdrucke meiner Gedanken nicht nötig wären. Sie sehen also, wenn diese Stelle tadel-haft ist, daß sie es vielmehr dadurch geworden, weil ich zu viel, als weil ich zu wenig für die Schauspieler gearbeitet. Und das würde ich bei mehreren Stellen vielleicht antworten können. (Brief an Men­delssohn, 14. September 1757.)

Man nehme nun aber nicht an, die Schlechtigkeit Marwoods sei hier nur um des theatralischen Effekts willen übertrieben worden. Über­trieben ist einzig das Ausmaß der Beschreibung und das aus techni­schen Überlegungen heraus, gleichsam als Einübung darzustellender Empfindung. (Nebenbei: nicht auszudenken, was geworden wäre, wenn Lessing sein eigenes Theater gehabt hätte. Zu seinen übrigen bahnbrechenden geistigen Taten hätte er noch die des begnadeten Regisseurs gefügt.) Unwahrscheinlich darf also die Verworfenheit der Marwood nie und nimmer erscheinen. Sir William sagt ja auch bald darauf zu dem an der Bosheit des Menschen zweifelnden Waitwell:

Der Zweifel, guter Waitwell, macht deiner Tugend Ehre. Aber war­um ist es gleichwohl wahr, daß sich die Grenzen der menschlichen Bosheit noch viel weiter erstrecken?.. . Nur diese Überzeugung kann ja dem Tugendglauben Lessings überhaupt die Waage halten.

Lessing ist kein harmloser Optimist. Er sieht den Menschen in dessen ganzem Ausmaß, fast möchte man Pascal zitieren: als gloire et rebut de l'univers. Nur weiß er genau, auf welche Seite sich der Mensch zu stellen hat und vertraut auf die Macht der Vernunft über das Böse. Marwood ist ganz böse, vielleicht ist sie es bloß geworden, aber jetzt ist sie es eindeutig und unwiderruflich. Mellefont ist auch böse, ein schillernder, der Verführungskraft des Bösen zugänglicher Mensch, böse aus einem gewissen intellektuellen Raffinement heraus. Norton war einmal böse, er steht jetzt jenseits seiner Verfehlung, dem Herrn allzu erbötig gewesen zu sein. Und alle anderen wären gut?

Ein durchgehender Zug der Miss SARA SAMPSON ist die Gewissens-qual. Dauernd sind diese Menschen damit befaßt, ihre eigenen Fehler zu erkennen; wenn sie gut sind, dann vor allem, weil sie ihre eigenen Schwächen genau erkennen. Sara kann es sich nicht verzeihen, den Vater unglücklich gemacht zu haben, das ist selbstverständlich. Aber sie klagt sich auch an, ihrer Mutter das Leben gekostet zu haben bei ihrer Geburt. Sie klagt sich an, neugierig zu sein. Sir William klagt sich an, seine Tochter durch allzu große Strenge zu ihrem Fehltritt getrieben zu haben. Je reiner diese Menschen sind, desto mehr gehen sie gegen sich selbst ins Gericht. Alle Schuld ist mein, will Sara er­kennen, als schon das tödliche Gift in ihr kreist. Ein merkwürdiger protestantischer Skrupulantismus leitet die Guten dieses Stücks, ein leidenschaftlicher Drang zu Selbsterkenntnis, Selbstbezichtigung und Selbstgericht, der sie gegen den Mitmenschen duldsam stimmt. Sir Williams letztes Urteil über den Mann, der seine Tochter ins Ver­derben geführt hat, lautet: Ach, er war mehr unglücklich als laster­haft. Sara träumt ihren Untergang voraus, wobei das Seltsame ist, daß sie die Marwood als eine mir ähnliche Person sieht. Nirgends findet sich eine Andeutung, Lessing habe Sara und die Marwood äußerlich ähnlich entworfen. Es gibt nur eine Erklärung für diesen Zug des Traums: Sara fühlt sich der Marwood verbunden in der allen Menschen gemeinsamen Sündhaftigkeit. Dieses Gefühl könnte man freilich auch neben das Schuldgefühl einer Emilia Galotti halten, beide stehen sie unter der Last vorgeträumter Möglichkeiten, wobei Emilia die unvergleichlich klarere, energischere Natur ist. Einer Sara stand der empfindsame englische Roman des 18. Jahrhunderts Pate, einer Emilia die altrömische Legende der Virginia.

Über das Ende der SARA SAMPSON breitet sich eine allgemeine Wolke des Verzeihens. Das eigentliche Prinzip des Bösen, die Marwood, ist ja entkommen, Mellefont stirbt zu Recht und würdig, Sir William findet eine Aufgabe in der Betreuung der jungen Arabella. Das wird ganz anders sein am Ende der EMILIA GALOTTI, da stellt sich der Vater, der sein Kind getötet hat, dem Gericht und beruft sich auch schon auf das Jüngste Gericht. Und die Bösen, Marinelli und der Prinz, trennen sich zwar, doch niemand weiß, ob auf immer. Der Tod hat hier seine Würde, nur die Würdigen sterben. Hingegen möchte man im Ende des NATHAN etwas von der Befriedigung der SARA SAMPSON nachahnen, etwas von der Kraft dieses Verzeihens wiederfinden. Kein Zufall ist es dabei, daß in beiden Werken Väterlichkeit als schöne Leidenschaft gestaltet ist, während in der EMILIA GALOTTI die Kind-Vater-Beziehung zu einem tödlichen Paroxysmus gesteigert wird.

Keines der großen Stücke Lessings ist heute so schwer auf die Bühne zu bringen wie die SARA. Was ihre Kühnheit für Lessings Zeitgenossen ausmachte, daß hier nämlich eine «bürgerliche Tragödie» entstanden war, daß hier der modische englische Roman seine bühnengerechte Entsprechung fand, das trifft heute nicht mehr zu. Unser Interesse wendet sich einerseits den schillernden Charakteren zu, andererseits dem, was aus der älteren Tragödie inspiriert worden ist, vor allem der Marwood, die eines Seneca, eines Corneille würdig ist. Hier fra­gen wir eben nicht unbedingt nach Wahrscheinlichkeit, sondern nach großem Theater, während bei einem Sir William, einem Waitwell, ja auch einer Sara wohl das schlicht Menschliche angestrebt worden ist, das aber im Stil ganz bestimmter Jahre spricht. Nicht umsonst ist Richardson weithin versunken und ebenso das théâtre larmoyant des durch andere Werke immer noch lebendigen Diderot.

Eine Wiedererweckung der SARA SAMPSON ist also fast zwangsläufig eine Absage an das, was Lessing in dem Stück versucht hat, nämlich eine feste Mitte zu finden zwischen der antikisch-französischen Tra­dition und dem neuen Geist, der ja weit über die Aufwertung des Bürgertums hinausstrebte und die Ratio sehr schnell gefährdete. Lessing hat das Stück noch stark im Sinn eines entschiedenen Entweder-Oder gestaltet, er hat Gut und Böse weithin machtvoll geschieden, sie eindeutig in die Wände der ihnen jeweils zugehörigen Akte ge­sperrt, so daß es eigentlich überlebensgroßer Figuren bedürfte, diesen Stil zu tragen. Andererseits weist das Werk auch auf höchst moderne Gebrochenheit hin; in einem Mellefont künden sich nicht nur die schwankenden Liebhaber Goethes an, solches schreitet tief schon in unser Heute hinein. Allerdings gesteht Lessing seinem Mellefont nichts von jener irgendwo auch lustvollen Qual zu, die dessen Nachfahren erfüllt; seine Doppeldeutigkeit wird in jedem Moment vom Autor ins unterscheidende Gericht genommen.

Lessings Vernunft war begabt, das durch und durch Gegenvernünf­tige zu erahnen, ohne sich dadurch zu mindern. So paradox es tönt, darf man wohl doch sagen, er hätte gerade dieses Stück, das Früheres und Späteres an einem bestimmten Zeitpunkt zu versöhnen trachtet, niemals schreiben können, ohne seine naturhaft moralische Seele, de­ren unabdingbare Rede das Ja, ja, Nein, nein war. Damit rück-Lessing wieder einmal in seines scheinbaren Gegners Gorneille Nähe Corneilles, der wie Lessing einer jener Bürger war, die diesen Wort auf immer Wert und Ehre verbürgen müßten. Nur der Glaube an die Macht der Vernunft konnte dieses gegensatzreiche Drama unternehmen. Dieser Glaube fehlt uns heute weithin - wir setzen in einer Wiedergabe der Miss SARA SAMPSON die Gegensätze wieder frei und geben dem Werk bestenfalls eine von Mal zu Mal neue, rein momentane Strahlungskraft, wobei dann Seneca und Corneille einerseits und Goethe und die Moderne andererseits Lessing, den Mann der Mitte, verdunkeln. Aber er bleibt auf ähnliche Weise hier im Dunkeln wie ein guter Regisseur: als spiritus rector.

Text aus: Elisabeth Brock-Sulzer: Lessing; Friedrich Verlag; Velber 1967; S.30-38

 

2        Versuchen Sie, anhand einiger besonders „rührseliger Szenen“ eine Inszenierung zu entwerfen, die auch den heutigen Zuschauer noch interessieren könnte. (Sie können dabei auch den Text verändern!)

 

 

3.3    Emilia Galotti

 

1        Ehe Sie das eine oder andere konkrete Problem in Angriff nehmen und bearbeiten, sollten Sie sich in der Gesamtgruppe über Ihre ersten Eindrücke unterhalten. Sie können dabei

-   Ihre Sympathien und Antipathien äußern,

-   Ihre Vermutungen über Handlungsabsichten und Hintergründe vorbringen,

-   „Dinge“, die sich nicht verstanden haben, benennen,

-   Ihre Vermutungen zum „Sinn“, zur „Gesamtbedeutung“ („Was soll das Ganze überhaupt?) vortragen.

          Sie können  sich auch an Fragen orientieren, wie z.B.:

-   Was hat besonders beeindruckt?

-   Was ist für einen heutigen Menschen nicht mehr oder nur schwer nachvollziehbar?

-   Was kann ich verstehen? Was lehne ich ab?

-   Welche Figur(en) ist (sind) mir sympathisch, welche unsympathisch? Warum?

Hinweise:

-   Während des Gesprächs sollte jemand wichtige Stichpunkte festhalten.

-   Gegen Ende des Gesprächs sollten Sie sich mehr und mehr darum bemühen, Ihre (vorläufigen) Deutungen als Hypothesen auszuformulieren, die weiter untersucht werden müssen, oder Fragen und Problemstellungen zu formulieren.

 

2        Sollte Ihre „Gespräch“ nicht richtig in Gang kommen, so können Sie  auch so verfahren:

-   Jeder notiert auf einem Zettel sein „Gesamturteil zum Stück“.

-   Auf vier weiteren Zetteln notiert jeder (mindestens) vier Fragen, Probleme, Themen, die ihm so wichtig erscheinen, daß darüber gesprochen werden sollte.

-   Die Zettel werden eingesammelt und „sortiert“.

-   Die erste Gruppe von Zetteln (Gesamturteil) wird vorgelesen und verglichen. Sie können nun „Vermutungen“ anstellen über mögliche Urteilsgründe.

-   Die weiteren Zettel werden - nach Themen geordnet - aufgeklebt und ausgehängt. Die weitere Arbeit könnte sich  zumindest zum Teil - an diesen Problemkreisen orientieren.

Hinweis: Die von Ihnen zusammengetragenen Fragen sind besonders wichtig. (Schließlich sind es ja Ihre Fragen. Aber einige dieser Fragen lassen sich - vermutlich - erst genauer bearbeiten, wenn einzelne Gesichtspunkte, die das Stück und seine Strukturen betreffen, schon bekannt sind. Einige Probleme sind für heutige Menschen nur noch schwer nachvollziehbar. Da wird es notwendig, sie in ihrem ursprünglichen Zeithorizont zu sehen. Deshalb schlagen wir hier einige Arbeitsbereiche vor, die Sie entweder mit Ihren Fragekreisen verbinden oder vorab klären sollten. Am Ende aber sollten Sie auf jeden Fall auf Ihre Fragen, Probleme und vor allem auf Ihre Hypothesen zurückkommen.

 

 

3.3.1  Konfiguration:

1        Nehmen Sie sich das Personenverzeichnis vor und notieren Sie zu jeder Figur die charakteristischen Merkmale.

 

2        Versetzen Sie sich in die Figuren hinein. Versuchen Sie, sich in einem „Persönlichkeits-interview“ vor Ihrer Gruppe in Ihrer Rolle zu profilieren. Ihre Gruppe stellt dabei „Fragen zur Person“.

 

3     Bilden Sie Figurengruppen. (Beachten Sie: Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Figuren zusammenzuordnen. Sie sollten sich nicht zu früh auf eine Gruppierungsmöglichkeit beschränken.)

 

4     Beschreiben Sie die Beziehungen zwischen den einzelnen Gruppen. Sollte es Ihrer Meinung nach keine „relevanten“ Beziehungen geben: Vergleichen Sie die  einzelnen Gruppen miteinander.

       Hinweis: Betrachten Sie Ihre hier erzielten Ergebnisse nur als vorläufig. Die weitere Arbeit wird da wohl noch einige Erkenntnisse bringen.

 

1)    Die „Seite Galotti“: Familie und Familienvater

       In einer zeitgenössischen Enzyklopädie finden sich zur Frage innerfamiliärer Beziehungen folgende Ausführungen:

 

Familienstrukturen

Der Natur der Sache nach muß aber zuvörderst ein jeder Hausvater hinlängliche Gewalt haben, sein Weib und Kinder zum Fleiß, zur Ordnung, und zur Sparsamkeit, anzuhalten. Dieses sind die drey Haupt-Eigenschaften eines wohl eingerichteten Hauswesens, und ohne dieselben muß der allerfleißigste Hauswirth zu Grunde gehen. Sie sind es zugleich, die mit dem gemeinschaftlichen Besten in der größten Uebereinstimmung stehen. Ordnung und Sparsamkeit erhalten die Familien, und befördern ihren Wohlstand, welcher dem Staate niemahls gleichgültig seyn kann, auf dem Fleiße der Einwohner aber beruhet der wahre Reichthum des Landes. Es fehlt nach unsern Gesetzen vielleicht den Vätern nicht an Gewalt, ihre Kinder zu diesen drey Eigenschaften anzuhalten, und es liegt nur an ihnen, wenn die meisten ihre Kinder so wenig zum Fleiß angewöhnen, wie leider mehrentheils geschieht. Allein, in Ansehung seines Eheweibes fehlt ihm allerdings die hinlängliche Gewalt. Wenn ein Mann seine Frau, wegen ihrer Faulheit, Unordnung und Verschwendung mäßig züchtigt, so ist gewiß unter zehn Richtern kaum Einer, welcher so vernünftig und so wenig sportelsüchtig ist, daß er die Klage nicht annehmen sollte, da doch dieses eine Sache ist, worein sich, ihrer Natur nach, die Obrigkeit niemahls mischen kann, weil über die Faulheit und Unordnung des Weibes keine Zeugen abgehört werden können, ohne die ganze Familie in Uneinigkeit zu setzen, und weil die Verschwendung nicht beurtheilt werden kann, ohne den Zustand des  Vermögens der Familie aufzudecken, welches guten Regierungsgrundsätzen so sehr zuwider ist. Nun in dem Falle also kann sich die  Obrigkeit hier einmischen, wenn der Hausvater selbst als ein lieder licher und böser Mann bekannt ist, und derselbe offenbare Grausamkeiten ausgeübt hat. Allein, diese so genannte Sävitien des Mannes  müssen nicht nach den blauen Flecken der Frau beurtheilt werden,  denn ein jeder Schlag, der gefühlt wird, gibt blaue Flecken.  Hiernächst muß der Hausvater vollkommen Gewalt haben, Tugend  und gute Sitten in seinem Hause zu pflanzen und zu erhalten. Es  liegt dem Staate an der Güte der Sitten überaus viel, weil das Ver derben der Sitten das Verderben des Staates selbst ausmacht. Dieses  ist die innere Fäulnis, und der Grund des Verderbens, welcher fast  alle europäische Staaten angesteckt hat, und die ermangelnde hinlängliche Gewalt des Hausvaters ist die Hauptursache dieses Verderbens. Denn wenn der Hausvater hierin nicht hinlängliche Gewalt  hat, so ist es gar nicht möglich die Güte der Sitten aufrecht zu erhal ten. Vielleicht mangelt es den Hausvätern hierin nicht an Gewalt  über ihre Kinder. es fehlt ihnen aber an hinlänglicher Gewalt über  ihre Weiber, und das Beyspiel der verderbten Sitten der Weiber hat  nur allzu viel Einfluß auf die Sitten der Töchter. Wenn eine Frau an fängt, auf Ausschweifungen zu verfallen, so hat ein Mann wenig  Mittel, sie abzuhalten, außer mit ihr zu prozessieren. Ein Hülfs-Mittel, welches fast immer ärger, als das Uebel selbst ist!

 [...]

 (Oeconomische Encyclopädie, oder allgemeines System der Staats Stadt-Haus- und Landwirtschaft, in alphabetischer Ordnung, von  D. Johann Georg Krünitz, 22. Teil, Berlin 1781, S. 417 f.) zitiert nach: Lothar Schwab: Gotthold Ephraim Lessing: „Emilia Galotti“; in:Jan Berg, Günther Erken, Uta Ganschow, Friedhelm Roth, Lothar Schwab, Richard Weber: Von Lessing bis Kroetz; Scriptor Verlag, Kronsberg/Ts. 1976 S. 36 f.

 

1        Hier haben Sie einen zeitgenössischen Text zum Thema „bürgerliche Familie“. Beschreiben Sie knapp die Rolle der einzelnen Familienmitglieder.

 

2        Beschreiben Sie die Rolle der Figuren im Stück, soweit sie geprägt sind vom Status innerhalb der Familie.

 

 

 

2)      Der Hof

 

1        Welche „Rollen“ sind „bei Hofe“ vorgesehen? Stellen Sie die entsprechenden Figuren zusammen und klären Sie deren jeweilige Rolle.

         

 

2        Klären Sie auch die von der „höfischen Umwelt“ geprägten bzw. abhängigen Verhaltensweisen.

 

3        Wo weicht der Prinz von seiner „höfischen Rolle“ ab? Welche Konsequenzen hat das?

 

4        Bestimmen Sie genauer die Rolle der Gräfin Orsina:

-   Was hält sie von der Liebe?

-   Wie sieht sie ihr Verhältnis zum Prinzen?

-   Welche Handlungsmöglichkeiten sieht sie für sich als Frau?

-   Inwieweit vertritt sie aufklärerische Positionen?

-   Was trägt sie zur eigentlichen Handlung bei?

 

5        Konzipieren Sie einige Tagebucheintragungen der Gräfin, in denen sie

          - sich Gedanken über ihre Situation macht;

          - ihre Hoffnungen und Befürchtungen bezüglich des Prinzen artikuliert;

          - ihre Einsichten  hinsichtlich der Gegebenheiten bei Hof formuliert.

 

 

 3) Zusammenhänge

 

1        Beschreiben Sie die Beziehungen zwischen den beiden Gruppen. Wie schätzt man sich gegenseitig ein?

 

2        Welche Rolle spielt eigentlich der Graf Appiani?

 

3        Was bedeutet nun der Titel „bürgerliches Trauerspiel“? (Halten Sie ihre vorläufige Meinung fest.)

 

3.3.2  Handlung

1)         Exposition

 

1        Sie haben schon die Zusammenhänge zwischen einzelnen Figuren/-gruppen beschrieben. Wo gibt es da Ansätze für Konflikte?

 

2        Welche Voraussetzungen sind für den Handlungsansatz in der „Emilia Galotti“ besonders wichtig?

 

3        Welche Eigenschaften, Handlungs-/Verhaltensmotive der einzelnen Figuren(gruppen) gewinnen (wofür) Bedeutung?

 

4        Welche Möglichkeiten sehen Sie, den Konflikt zu vermeiden? (Was müsste anders sein?)

 

2)         Handlungsentwicklung

 

1     Im Stück sind mehrere Handlungsteile ineinander verschlungen. Versuchen Sie eine Klärung, indem Sie die einzelnen Stränge isolieren. Unterschieden Sie:

-      Emilia und die Hochzeitsvorbereitungen

-      Der Prinz und seine Liebe

-      Marinelli und die Intrige

-      Odoardo und sein Misstrauen gegenüber dem „Höfischen“.

 

2     Verfassen Sie Texte (Erzählungen, Briefe, Berichte, Zeitungsreportagen, human interest storries, Tagebucheintragungen usw.), in denen die die einzelnen Aspekte behandelt werden.

 

3     Was ist nun an der „Schürzung des Knotens“ in welcher Weise beteiligt?

 

4     Wo sehen sie den „Wendepunkt“? (Man könnte auch sagen: Von welcher Stelle aus ist nichts mehr rückgängig zu machen? Wo gibt es keine Alternativen mehr?)

 

3)    Lösung des Konflikts

Lessing übernahm Teile seines Stoffes von Livius. Besonders der Schluss des Dramas erinnert stark an die römische Vorlage. An einer Stelle wird der von Livius dargestellte Fall direkt angesprochen.

 

1     Suchen Sie die entsprechende Stelle auf und erläutern Sie, was dort mit dem „Zitat“ bezweckt wird.

2     Bei Livius steht Begebenheit eindeutig in einem politischen Zusammenhang. Lessing selbst behauptet, er habe seine Emilia gegenüber der Virginia verändert. Untersuchen Sie den folgenden Text und stellen Sie  fest, wie Lessing seine Emilia „meint“.

 

(Lessing schreibt in einem Brief an Nicolai von einem „jungen Tragikus“ und spricht so von sich in der „Er-Form“:)

Leipzig, den 21. Januar 1758

. . . Sein jetziges Sujet ist eine bürgerliche Virginia, der er den Titel >Emilia Galotti< gegeben. Er hat nämlich die Geschichte der römischen Virginia von allem dem abgesondert, was sie für den ganzen Staat interessant machte; er hat geglaubt, daß das Schicksal einer Tochter, die von ihrem Vater umgebracht wird, dem ihre Tugend werter ist, als ihr Leben, für sich schon tragisch genug, und fähig genug sei, die ganze Seele zu erschüttern, wenn auch gleich kein Umsturz der ganzen Staatsverfassung darauf folgte...

(Text nach: Gotthold Ephraim Lessing: Gesammelte Werke in zehn Bänden, Bd 9, hrsg. von Paul Rilla. Aufbau Verlag, Berlin 1957 S. 157 .)

 

Die Vorlage: Livius: Virginius tötet seine Tochter

Der römische Autor Livius berichtet in seinem Buch über die Geschichte Roms (Libri ab urbe condita, III, 44-48) von folgender Begebenheit:

Claudius, einer der Decemvirn, wollte Virginia, ein plebejisches Mädchen, verführen. Der Vater des Mädchens, Lucius Verginius, ein in Krieg und Frieden vorbildlicher  Mann, diente als Zenturio gegen die Aequer. Das Mädchen war verlobt mit dem ehemaligen Tribunen Lucius Icilius, einem tatkräftigen Mann, der sich um die Sache des Volkes verdient gemacht hatte. Appius in seiner Liebestollheit versuchte zunächst, das Mädchen mit Geld und guten Worten zu verführen. Als er jedoch merkte, dass jede Annäherung an ihrer Züchtigkeit scheiterte, entschloss er sich zu einer grausamen und maßlosen Gewalttat. Er befahl seinem Klienten Markus Claudius, das Mädchen als seine Sklavin zu beanspruchen und von seinem Anspruch auch dann nicht abzugehen, wenn man eine Freilassung fordere, bis die Sache gerichtlich entschieden sei. Er glaubte, er könne die Abwesenheit des Vaters des Mädchens nutzen und das Recht ungestraft verletzen. Als das Mädchen nun auf das Forum kam..., legte Markus Claudius Hand an sie und erklärte, sie sei die Tochter seiner Sklavin und somit seine Sklavin. Er befahl ihr, ihm zu folgen, und drohte, wenn sie zögere, werde er sie mit Gewalt wegbringen. Währen das Mädchen vor Angst wie betäubt war, erhob seine Amme ein großes Geschrei und rief die Bürger um Hilfe. So entstand ein Auflauf. Der Name ihres Vaters Verginius und der ihres Bräutigams, ebenfalls ein bekannter Name, wurden immer wieder laut gerufen. Die Bekannten ergriffen nun aus Freundschaft für das Mädchen Partei, die große Menge aus Empörung überdie Schändlichkeit des Vorfalls. Schon war es vor Gewalt sicher, da erklärte der Kläger, die Erregung des Volkes sei völlig unnötig, er verhalte sich vollkommen legal und handle im Rahmen des gültigen Rechts; er gebrauche keineswegs Gewalt. Er forderte das Mädchen vor Gericht. Da nun selbst diejenigen, die für das Mädchen Partei ergriffen hatten, ihr rieten, dem Vorschlag zu folgen, kam man vor den Richterstuhl des Appius. Der Kläger spielte nun seine Rolle vor dem Richter, welchem ja, als dem eigentlichen Anstifter des Anschlags, diese Rolle schon bekannt war: Er erklärte, das Mädchen sei in seinem Hause geboren, dann aber gestohlen und in das Haus der Verginius verbracht und diesem als Tochter untergeschoben worden; er selbst wisse dies durch eine Anzeige und er werde es auch beweisen, selbst wenn Verginius selbst als Richter auftrete, der ja wohl bei diesem Unrecht am meisten in Mitleidenschaft gezogen worden sei. Es sei nun nicht mehr als recht und billig, dass die Sklavin in der Zwischenzeit, bis eine Entscheidung gefällt sei, ihrem eigentlichen Herrn folge. Die Verteidiger des Mädchens erklärten, Verginius, ihr Vater, sei im Staatsdienst abwesend, er werde aber innerhalb von zwei Tagen zur Stelle sein, wenn man ihm eine Nachricht zukommen lasse. Es sei unbillig, einem, der nicht anwesend ist,  seine Kinder streitig machen zu wollen. Sie forderten von Appius eine Vertagung des Rechtsstreits bis zur Ankunft des Vaters. Das Mädchen solle er - entsprechend dem von ihm selbst erlassenen Gesetz - bis dahin freilassen und es auf keinen Fall gestatten, dass ein erwachsenes Mädchen Gefahr laufe, eher ihren guten Ruf als ihre Freiheit zu verlieren. Ehe Appius entschied, schickte er die Bemerkung voraus, er selbst sei immer für die Freiheit eingetreten. Das beweise gerade das Gesetz, auf das sich die Freunde des Verginius bei ihrer Verteidigung berufen hätten. Dieses Gesetz allerdings garantiere die Freiheit nur dann, wenn es weder zugunsten einer Sache noch einer Person zurechtinterpretiert werde. Allerdings gelte es nur für diejenigen, die als Freie anzusehen seien, weil hier jeder nach dem Gesetz eine Klage führen könne. Bei einer Person allerdings, die noch unter väterlicher Gewalt stehe, gebe es außer dem Vater keinen anderen, dem der Eigentümer, wenn es um die Besitzergreifung geht, nachstehen müsse. Er befinde es also für recht und billig, dass der Vater herbeigeholt werde. Inzwischen aber solle der Kläger nicht auf sein Recht verzichten müssen. Er solle das Mädchen mitnehmen, müsse aber versprechen, dass sie beim Erscheinen des angeblichen Vaters vor Gericht erscheinen werde. Gegen die Ungerechtigkeit dieses Bescheides murrten zwar einige, aber kein einziger hatte den Mut, Einspruch zu erheben. Da traten Publius Numitorius, der Großoheim, sowie ihr Verlobter Icilius auf. Man machte in dem Gewühl Platz. Die Menge glaubte, dass gerade durch das Auftreten des Icilius sich Gelegenheit ergebe, dem Appius Widerstand zu leisten. In diesem Augenblick erklärte der Lictor (bewaffneter Gerichtsdiener), das Urteil sei gesprochen. Dabei versuchte er, den lärmenden Icilius zu entfernen. Eine so schreiende Ungerechtigkeit hätte wohl auch eine friedlichere Natur in Rage gebracht. „Du musst mich schon mit dem Schwert von hier wegjagen lassen, Appius!“, brüllte Icilius, „wenn du mit dem, was du hier verschleiern willst, ohne Widerspruch davonkommen willst. Dieses Mädchen werde ich heiraten. Und ich will eine unbescholtene Braut haben! Du kannst ruhig alle Büttel (Liktoren) zusammenrufen, auch die deiner Amtsgenossen. Lass sie ruhig auch ihre Ruten und Beile zur Hand nehmen. Die Verlobte des Icilius wird auf keinen Fall außerhalb des väterlichen Hauses übernachten...Verginius kann, sobald er kommt, zusehen, was wegen seiner Tochter zu unternehmen sein wird... Ich beanspruche für meine Braut die Freiheit und ich werde eher sterben als mein Wort brechen!“ Die Menge geriet in Aufruhr und ein Kampf schien unvermeidlich. Die Liktoren hatten Icilius umstellt. Allerdings gab es außer Drohungen nichts weiter. Appius erklärte, dem Icilius gehe es gar  nicht um die Verteidigung des Mädchens, sondern er sei eher ein unruhiger Typ, der noch ganz aus dem Geiste des Tribunats eine Gelegenheit zum Aufruhr suche. ... Er werde Markus Claudius bitten, von seinem Recht abzusehen und das Mädchen bis zum folgenden Tag in den Händen der Verteidiger zu belassen. Wenn aber der Vater am folgenden Tag nicht erscheine, dann werde -und das kündige er Icilius und seinesgleichen an - er weder sein Gesetz vernachlässigen, noch werde es dem Decemvirn an Festigkeit fehlen...

Man beschloss nun, Verginius so schnell wie möglich aus dem Feldlager herbei holen zu lassen. Dazu wählte man zwei schnelle junge Männer aus, nämlich den Bruder des Icilius und den Sohn des Numitorius. Sie sollten Verginius sagen, die Rettung des Mädchens hänge davon ab, dass er am folgenden Tag zur rechten Zeit erscheine und sie schütze vor der Rechtsbeugung. Die beiden sprengten wie geheißen im Galopp davon und überbrachten dem Vater die Nachricht...

Das Mädchen wurde den Verwandten, welche Bürgschaft leisten mussten, übergeben. Appius wartete noch einige Zeit, um nicht den Anschein  zu erwecken, er habe nur wegen dieser einen Sache eine Gerichtssitzung abgehalten. Als niemand mehr  vortrat,...begab er sich nach Hause und schrieb seinen Amtskollegen im Heerlager, sie sollten Verginius auf keinen Fall beurlauben, sondern ihn verhaften. Dieser schurkische Anschlag kam verdientermaßen zu spät. Verginius hatte Urlaub erhalten und war schon während der ersten Nachtwache abgereist...

In der Stadt stand schon bei Tagesanbruch die Bürgerschaft gespannt auf dem Forum, als Verginius, schmutzig gekleidet, seine Tochter, welche ebenfalls abgetragene Kleider trug, in Begleitung mehrerer Frauen und vieler Freunde auf das Forum brachte. Er begann nun herumzugehen und den Leuten die Hand zu drücken. Dabei bat er nicht nur um ihre Hilfe als Gefälligkeit sondern er forderte solche Hilfeleistungen geradezu als Schuld. Er selbst stehe schließlich täglich für ihre Kinder und Frauen im Feld und es gebe wohl keinen anderen Mann, von dem man mehr entschlossene und von Tapferkeit zeugende Heldentaten berichten könne. Was nütze es letztlich, wenn die Stadt selbst zwar sicher und unversehrt bleibe, die Kinder aber erdulden müssten, was ihnen nur im Falle einer Eroberung als das schlimmste Los drohe. So sprach er, schon fast wie ein Volksredner, während er bei den Leuten herumging. Icilius brachte ähnliche Äußerungen unter das Volk. Das weibliche Gefolge wiederum wirkte mehr durch stille Tränen als durch laute Worte. Appius ließ all das ungerührt und er bestieg den Richterstuhl. ...Unglaublicherweise begann der Kläger damit, dass er sich beschwerte, man habe ihm am Tage zuvor sein Recht  vorenthalten, da man einseitig Partei ergriffen habe. Bevor er nun seine Forderung zu Ende  vortragen konnte oder Verginius Gelegenheit zur Erwiderung erhalten hatte, unterbrach Appius... Er entschied, der Kläger dürfe das Mädchen als Sklavin in Anspruch nehmen. Zunächst waren alle starr vor Entsetzen über das unglaubliche Vorgehen. Das Schweigen hielt eine Zeit lang an. Dann, als Markus Claudius durch den Kreis der Frauen hinging, um das Mädchen zu ergreifen, schlug ihm ein jämmerliches Wehklagen der Weiber entgegen. Da  streckte Verginius die Hände gegen Appius vor und rief: „Icilius, nicht dir, Appius, habe ich meine Tochter verlobt. Ich habe sie für die Ehe, und nicht für die Schändung erzogen ...“. Markus Claudius wurde durch die Masse der Frauen zurückgedrängt und der Herold gebot Ruhe. Außer sich vor Begier erklärte der Decemvir, er habe nicht nur aus dem Schimpfen des Icilius am Vortag und aus dem heftigen Ausbruch des Verginius gerade eben, wofür er das römische Volk zum Zeugen aufrufe, sondern auch aus verlässlichen Aussagen erfahren, es hätten in der ganzen Nacht Versammlungen stattgefunden, die einen Aufstand anzetteln wollten. Da er einen solchen Kampf befürchtet habe, habe er  Bewaffnete mitgebracht, keineswegs um irgendeinem Bürger Gewalt anzutun, sondern um die Störer der öffentlichen Ordnung kraft seines Amtes in Zaum zu halten. „Also empfehle ich euch dringend“, fuhr er fort, „ruhig zu sein. Lictor, mache dich auf und dränge die Masse zurück. Mache Platz, damit der Eigentümer seine Sklavin mitnehmen kann!“ Als er dieses mit lauter Stimme voller Zorn gerufen hatte, zerteilte sich die Menge von selbst und das Mädchen stand verlassen da, eine leichte Beute für die Übeltäter. Als nun Verginius nirgends mehr die Möglichkeit einer Hilfe sah, sprach er: „Appius, halte es dem väterlichen Schmerz zugute, wenn ich dich irgendwie zu hart angepöbelt habe. Erlaube mir aber, dass ich hier in Gegenwart des Mädchens die Amme zu der Sache befrage, damit ich in Ruhe von hier weggehen kann, wenn ich bisher fälschlich als Vater gegolten habe.“ Als ihm die Erlaubnis erteilt war, führte er Tochter und Amme zur Seite....entriss einem Fleischer ein Messer und rief: „Dies ist die einzig mögliche Art, meine Tochter, dir die Freiheit zu erhalten!“ Dabei durchbohrte er dem Mädchen die Brust, blickte zum Richterstuhl hinüber und rief: „Dich, Appius, und deinen Kopf weihe ich mit diesem Blut dem Untergang!“ Aufgeschreckt durch das Geschrei, das sich über die grässliche Tat erhob, befahl Appius, den Verginius festzunehmen. Dieser aber bahnte sich mit dem Messer einen Weg und gelangte, auch von der Menge gschützt, zum Tor...

 

( Livius: Ab urbe condita III, 44-48. Übertragung: Friedel Schardt)

 

1     Stellen Sie die entscheidenden Unterschiede zwischen Livius und Lessing gegenüber.

-   Welche Umstände bestimmen die „Situation“?

-   Von wem geht die Handlungsinitiative aus?

-   Wie wird die „Tötung“ jeweils begründet?

-   Welche Folgen ergeben sich jeweils aus der Ermordung?

 

2     Wie begründet Emilia ihre Forderung an den Vater?

 

3     Wie sieht der Vater seine Tat?

 

4     Diskutieren Sie die Frage: Hatte Odoardo eine Alternative? Bedenken Sie dabei:

-   Odoardos Tugend-Auffassung

-   Odoardos gesellschaftliche Stellung

-   die Situation, wie sie sich Odoardo darstellt.

Hinweis: Betrachten Sie Ihre Ergebnisse noch als Hypothesen. Nehmen Sie ihre Diskussion erneut auf, wenn Sie über die folgenden Texte zum Thema „Gleichheit“ und „Tugend“ gesprochen haben.

 

3.3.4  Themen und zu diskutierende Probleme

 

1)         Alle Menschen sind gleich

 

Jochen Schulte-Sasse: Der Rekurs aufs Gefühl als Radikalisierung des Gleichheitsgrundsatzes : Lessing

Lessings Radikalisierung des Gleichheitsgrundsatzes ist mit aller wünschenswerten Deutlichkeit in einer Dramenrezension ausgesprochen, die er 1751 in der ,,Berlinischen privilegirten Zeitung" veröffentlichte : "Die Natur weis nichts von dem verhaßten Unterscheide, den die Menschen unter sich fest gesetzt haben. Sie theilet die Eigenschaften des Herzens aus, ohne den Edeln und den Reichen vorzuziehen, und es scheinet sogar, als ob die natürlichen Empfindungen bey gemeinen Leuten stärker, als bey andern, wären. Gütige Natur, wie beneidenswert schadlos hältst du sie wegen der nichtigen Scheingüter, womit du die Kinder des Glücks abspeisest! Ein fühlbar Herz wie unschätzbar ist es ! . . . Von Freiheit und Gleichheit der Menschen redete die gesamte Aufklärung; insofern ist zwischen dieser Rezension Lessings und einigen Sätzen aus der Hamburger Wochenschrift "Der Patriot von 1724 kein Unterschied festzustellen."Wir Menschen haben insgesamt einerley Ursprung. Warum wollen wir uns einer vor dem andern erheben? Ein GOTT hat uns samtlich geschaffen, und wir sind alle Mitbürger untereinander. Daher lasset uns doch als Kinder eines Vaters und der Natur nach als Geschöpfe von gleichem Stande, uns betragenn54.  

54 "Der Patriot" Nr. 48 vom 30. 11. 1724.

Text aus: Jochen Schulte-Sasse, Literarische Struktur und historisch-sozialer Kontext. Zum Beispiel „Emilia Galotti“Ferdinand Schöning Verlag, Paderborn 1975, S.35  f.

 

 

 

2)      Wenn schon Adel: Tugendadel

 

Jochen Schulte-Sasse:  Sittlicher und ständischer Adel: ein Moralisierungsprogramm als politische Strategie.

1752 schreibt Johann Michae1 von Loen in seiner programmatischen Schrift "Der Adel" , die 1759 (unter abgewandeltem Titel) bereits in dritter Auflage erscheinen konnte : "Wie nun die Tugend das eintzige Mittel ist das Unheil der Menschen zu verbessern, so verdienet sie auch die gröste Ehre. Sie allein ist hochgeboren, dann sie stammet vom Him- mel. Sie ist ein Strahl des göttlichen Lichts, und ein Abglantz seines  Wesens, sie adelt die Seelen und macht die Menschen zu einem göttlichen  Geschlecht. Diesen Adel haben alle fromme und weise Leute"21. An die-  sen Gedanken ist zweierlei erstaunlich , Erstens, daß hier mit aller wün-  schenswerten Deutlichkeit die bis dahin sozialständisch eingeengte Be-  deutung des Begriffes ,,Adel" ausgeweitet und damit als Standesbezeich-  nung ausgehöhlt wird. Und zweitens, daß diese Ausweitung nicht durch einen bürgerlichen Autor geschieht, sondern durch ein Mitglied einer  traditionsreichen Adelsfamilie. Loen geht in seiner Schrift aber noch weiter, als es die zitierte Einleitung vermuten läßt: "die Natur weis von  keinem andern Adel, als von demjenigen, der von der Vortrefflichkeit  der Tugend herrühret"22. Das bedeutet erstens, daß jeder Bürger, gleich  welchen Standes, durch Tugend geadelt wird, und zweitens, daß der Adel  seine Vorrechte durch Laster verliert bzw. verlieren sollte. Wenig später  heißt es denn auch, ,,Schande hebt den Adel auf"23. "Der Adel kan  also nicht ohne Tugend bestehen, und durch Laster wird er gar verloren,  dergestalt, daß er, an statt seiner Vortreflichkeit, seine Natur verändert,  und aus einem edlen Menschen einen Unmenschen macht"24. Die angestrebte psychologische Emanzipation unterprivilegierter Schichten, die  in diesen Sätzen propagiert und deren Programm von der literarischen  Intelligenz der Zeit geteilt wird, strebt keine Gewaltenteilung und -kontrolle an, sondern qualitative Veränderung der Herrschaft durch moralischen Anspruch und Publizität dieses Anspruches. Dieses Programm  literarischer Intelligenz läuft darauf hinaus, bestehende Herrschaft durch  Moralisierung zu unterlaufen und die bis dahin vorherrschende Teilung  in privates und öffentlich-rechtliches Tun zu überwinden.

21 Johann Michael von Loen: Der Adel, Ulm 1752, S. 3

22 Loen, a. a. O. S. 325.

23 Loen, a. a. O. S. 382.

24 Loen, a. a. O. S.381.

(Text aus: Jochen Schulte-Sasse, Literarische Struktur und historisch-soziaqler Kontext. Zum Beispiel „Emilia Galotti“Ferdinand Schöning Verlag, Paderborn 1975, S.23 f.)

 

1     Was bedeutet nun „Gleichheit“ für den Aufklärer Lessing? (Welche Bereiche sind betroffen?)

 

2     Was will Loen mit einer „Moralisierung“ erreichen?

 

3     Was bedeutet das Programm für den Adel? Was für den Bürger?

 

4     Inwiefern könnte ein solches „Moralisierungsprogramm“ auch das öffentliche Leben (die „Politik“) verändern?

 

5     Wie bewerten Sie nun Odoardos Haltung? Wie sehen Sie Emilias Haltung?

 

6     Welche Bedeutung hat es, wenn Lessing sich im Stück ausdrücklich auf das römische Vorbild beruft?

 

7     Ist der Virginia-Stoff nun von Lessing entpolitisiert worden oder nicht?

 

3)    Reaktionen von Zeitgenossen

 

Carl Lessing berichtet seinem Bruder:

12. 3. 1772

 ...Aber höre einmal, was mir mit Herrn Moses darüber begegnet ist. Ich fragte ihn, wie ihm  Deine Tragödie gefallen habe. »Im Ganzen vortrefflich sagte er; »wir haben noch nichts  so Vortreffliches; und vielleicht können Franzosen und Engländer nichts aufweisen, wo  jedes Wort so bedächtig, so ökonomisch angebracht ist; selbst die Ausführung des Charakters findet man selten so. Welch ein allerliebstes Mädchen ist nicht die Emilia - »Die  Emilia unterbrach ich ihn, und Du kannst Dir leicht vorstellen, mit was für Augen. -  Er fuhr fort: »Bey den Worten: Perlen bedeuten Thränen, habe ich vor Thränen selbst  nicht fortlesen können. Das ganze Stück hat mich so angegriffen, daß ich die Nacht nicht  werde davor schlafen können Wir disputirten eine Weile über die Emilia, und endlich  fragte ich ihn, ob er denn gar nichts gefunden, das er besser oder anders wünschte? Und  was dächtest Du wohl, was es war? Der Prinz; der scheint ihm im Anfange thätiger und  tugendhaft, und am Ende ein unthätiger Wollüstling. Und hiermit bin ich nicht zufrieden.  Nicht darum, weil er mich widerlegt hatte, sondern weil ich Gründe habe, daß der Prinz  so seyn muß. Er nimmt sich der Regierung an, er ist ein Liebhaber von Wissenschaften  und Künsten, und wo seine Leidenschaften nicht ins Spiel kommen, da ist er auch gerecht  und billig; er ist überdies fein und hat allen Schein eines würdigen Fürsten; aber das sind  noch nicht die rechten Beweise, daß er es wirklich ist. Folglich hast Du uns an seiner moralischen Güte noch immer zweifelhaft gelassen; und nur gezeigt, wie heut zu Tage Prinzen  von guter Erziehung, welche die Natur nicht ganz unbegabt gelassen, seyn können. Seine  Tugend soll in seiner ungerechten Liebe gegen Emilia mit dem Marinelli geprüft werden,  und da hält sie nicht die Probe. Daraus entsteht dann die schreckliche Handlung des alten  Galotti, welcher sonst unmenschlich an seiner Tochter handelte, wenn sie von ihren Verführungen anders gerettet werden könnte, und er es nicht thäte. Kurz, gegen die Ökonomie des Stücks und gegen die Ausführung der Charaktere, dächte ich, könnte nicht so  leicht etwas eingewendet werden.. ..

(Text aus: Karl Lachmann (Hrsg.): G.E.Lessings sämtliche Schriften, Bd. 20, Stuttgart, Leipzig, Berling 1886, S. 146)

 

Johann Wolfgang von Goethe schreibt an Herder:

Im Juli 1772

 ...Es ist alles nur gedacht. Das ärgert mich genug. Emilia Galotti ist auch nur gedacht, und  nicht einmal Zufall oder Caprice spinnen irgend drein. Mit halbweg Menschenverstand  kann man das Warum von jeder Scene, von jedem Wort, mögt' ich sagen, auffinden.  Drum bin ich dem Stück nicht gut, so ein Meisterstück es sonst ist, und meinem eben so  wenig. 

(Text aus: J W v.G.. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 18. Zürich: Artemis 1949, S 17)

 

1        Fassen Sie zu jedem Text den Kern der beurteilung zusammen.

 

2        Welche dieser Reaktionen erscheinen Ihnen gerechtfertigt?

 

2        Sie haben hier einige Interpretationsaussagen gefunden. Vergleichen Sie diese mit Ihren eigenen Ergebnissen.

 

3.3.5  Vorläufiger Abschluss: Vorbereitung der Präsentation im Plenum

 

1        Sie haben an einigen Stellen (hoffentlich) Diskussionen mit der Formulierung „vorläufiger Ergebnisse“ bzw. von Hypothesen abgeschlossen. Gehen Sie Ihre Aufzeichnungen durch und setzen Sie gegebenenfalls die eine oder andere Diskussion fort. (In jedem Fall aber sollten Sie unter den inzwischen gewonnenen Einsichten die früheren Ergebnisse durchgehen.)

 

2        Wählen Sie einige Szenen aus, die Ihnen besonders „typisch“ für das Stück und den Aufklärer Lessing erscheinen. Arbeiten Sie eine angemessene Inszenierung aus. („angemessen“ bedeutet nicht „historisierend“. Sie können z.B. auch versuchen, durch zeitgemäße Kostümierung  und Gestaltung der Schauplätze Aktualiusierungsmöglichkeiten anzudeuten.)

          Da Ihre künftigen Zuschauer möglicherweise nicht das ganze Stück kennen, sollten Sie „Zwischentexte“ verfassen, die den Gesamtzusammenhang erkennen lassen.

 

3     Bereiten Sie eine Gerichtsverhandlung zum „Fall Odoardo Galotti“ vor.

       Alternativ:

       Verhandeln Sie den „Fall Prinz Hettore Gonzaga“.

 

Abschluss

 

Eine mögliche Schlussdiskussion könnte unter folgenden Leitfragen stehen:

 

1        Inwiefern hat sich von Miss Sara Samson zu Emilia Galotti das bürgerliche Trauerspiel selbst verändert?

 

2        Welche Ziele verfolgte Lessing? Welche hat er erreicht? Erreicht er sie noch beim heutigen Zuschauer?

 

3        Inwiefern bestehen Zusammenhänge zwischen Aufklärung als geistesgeschichtliche Epoche  und dem Drama, das Lessing auf die Bühne bringt?

 

4        Was ist nun unter „Tragik“ zu verstehen? Ist diese Tragik „unvermeidbar“? Welche Aussagen über die Verfasstheit des Menschen lassen sich ableiten?

 

 

Zu Emilia Galotti (im Vergleich mit „Nathan“)  siehe auch: Bernd Balg/Friedel Schardt: Aufklärung – Traum oder Albtraum?  Schülerarbeitsheft für die Sekundarstufe II; Ernst Klett Schulbuchverlag, Leipzig, Stuttgart, Düsseldorf 2002

 

Eine Interpretationshilfe finden Sie hier:

Emilia Galotti - Lekt&uuml;rehilfe und Interpretationshilfehttps://itunes.apple.com/de/book/emilia-galotti-lekturehilfe/id646715174?mt=11

oder hier:

http://www.weltbild.de/3/18207729-1/ebook/emilia-galotti-lektuerehilfe-und-interpretationshilfe.html