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Hans Jakob Christoffel von GrimmelshausenSimplicius Simplicissimus1 Zur Didaktik und Methodik
Der Roman ist von der Erzähltechnik wie von der Struktur her relativ einfach zu überschauen, wenn auch die Sprache gelegentlich einige Schwierigkeiten bereiten wird. Das bedeutet einerseits: Er bietet nicht allzu viele Schwierigkeiten, wenn es darum geht, der Handlung zu folgen, andererseits aber ist er noch widerständig genug, um nicht „einfach verschlungen" zu werden. Er enthält genügend „Handlung", um den Leser „bei der Stange" zu halten. Gleichzeitig aber finden sich eine große Menge von Reflexionsteilen, so dass Unterricht auch „gehobenen" Ansprüchen gerecht werden kann. Gerade diese Reflexionsteile werden interessant, wenn es um die Frage nach Wertsystem und Weithaltung, nach Handlungsorientierung und ethischem Bewusstsein geht. Dabei müssen wir natürlich mit Denk- (und auch: Darstellungs-) formen rechnen, die dem heutigen Menschen vielleicht doch fremd sind. Diese Fremdheit wiederum sollte genutzt werden als das .‚Anstößige", das eben als Herausforderung zu sehen ist. Damit wird wiederum nicht so etwas wie ein „Sich-Versenken" gefordert, wohl aber ein „Zur-Geltung-kommen-Lassen" des andern, das — ehe eine Auseinandersetzung beginnen kann — erst einmal in seinem eigenen Kontext zu würdigen ist. Wenn im Zusammenhang mit der Romanbehandlung von „Welthaltigkeit" die Rede ist, so gilt das für den „Simplicissimus" in besonderer Art und Weise. Er enthält nicht nur eine Vielzahl von Gestalten, die in je eigener Weise sich dem Leben stellen, sondern auch eine breite Palette menschlicher Verhaltensweisen, Einstellungen zu Welt und Selbst, von Versuchen, die Welt zu bestehen, sich zu behaupten, aber auch von gewaittätigen Auseinandersetzungen, Kämpfen, Siegen und Niederlagen. Nicht zuletzt stellt er das theatrum mundi seiner Zeit so dar, dass man noch heute fasziniert einzelne Abläufe verfolgt, Einsichten bewundert, Bewertungen zur Kenntnis nimmt, nachvollzieht oder aber ablehnt. Der Roman bietet die Möglichkeit der „emotional-affektiven Besetzung", d. h. der Entwicklung von Sympathie und Antipathie. Dabei sollte deutlich werden, dass ein solch affektiv orientiertes Reagieren des Lesers ein „normales" Rezeptionsverhalten darstellt, welches dann allerdings rational aufgearbeitet werden kann. Gerade bei einer solchen Arbeit kann klar werden, wie die affektiven Reaktionen zustande kamen, was sie auslöste, wie weit sie berechtigt sind, wo ihre Gefahren und ihre Möglichkeiten liegen. Die im Roman angebotene „Gesamtlösung", der Vanitas-Gedanke, dürfte dem heutigen Menschen nicht allzu vertraut sein. Gerade im diesem Zusammenhang aber könnte eine Relativierung der eigenen Wertsetzungen möglich werden. (Damit soll nun keineswegs einer transzendenten Orientierung das Wort geredet werden!) Der „Simplicissimus" bietet die Möglichkeit. wichtige „Strategien" der Romanlektüre/des Romanverstehens zu erarbeiten und anzuwenden, ohne dass allzu viele Lehrersteuerungen notwendig werden. Selbstverständlich dürfen diese Strategien nicht zum Selbstzweck oder zu zentralen Unterrichtszielen werden. Immer ist ihr funktionaler Zusammenhang zu sehen. Der Roman bietet eine besonders gute Möglichkeit, den Zusammenhang von Literatur und historischer Wirklichkeit zu reflektieren. Wenn es sich auch nicht um eine Autobiografle handelt, so lassen sich doch viele Elemente der Vita des Autors im Roman wiederfinden. Darüber hinaus sind nicht nur eine Vielzahl historischer Begebenheiten eingearbeitet, sondern es wird auch das „Lebensgefühl" einer Epoche gespiegelt (wobei mit der „Widerspiegelung" sowohl ein ..wiedergeben" als auch ein „den Spiegel Vorhalten" gemeint ist), ohne dass die Aktion dabei zu kurz käme. Im konkreten Fall: Uber den Koman könnte in eine intensivere Behandlung der Epoche des Barock eingestiegen werden. (Vielleicht ist „Einstieg" hier nicht das richtige Wort. Besser sollte man wohl von einer Vertiefung der im Roman erkennbaren Ansätze sprechen.) Gleichzeitig können Erkenntnisse, die aus einer Behandlung der Epoche resultieren, als Hilfen bei der Romananalyse genutzt und als Verstehenshilfen herangezogen werden. Die Struktur des hier vorzustellenden Unterrichts lässt sich nun von den genannten Gesichtspunkten her etwas genauer bestimmen. Folgende Aspekte werden den Unterricht im Wesentlichen bestimmen: 1) Der Zusammenhang Literatur — Wirklichkeit wird als Grundprinzip permanent mitreflektiert. in einem eigenen Takt wird kurz in die Epoche des Barock eingeführt. Dann aber wird im Zusammenhang mit dem Roman immer wieder auf einzelne Wirklichkeitsphänomene einzugehen sein. 2) Ehe in eine Auseinandersetzung eingetreten wird, muss das zu diskutierende „Phänomen" in seinem jeweiligen Zusammenhang (sowohl textimmanent als auch epochal bezogen) erfasst und gewürdigt werden.3) Fächerübergreifendes Arbeiten wird unumgänglich werden: In einzelnen Fragenkomplexen ist das Fach Deutsch überfordert. Viele Strukturen gerade wenn sich es um Gegenstände aus dem Bereich des Ästhetischen geht — lassen sich nicht nur im Bereich der Literatur finden. So wäre es angebracht, wenn sich die Kollegen mit den Fächern Musik. Kunst. Geschichte parallel mit derselben Epoche beschäftigen würden. Aber auch die naturwissenschaftlichen Fächer (wenn sie sich noch ihrer Geschichte bewusst sind!) wären notwendig. 1.2 Hinweise zur UnterrichtsmethodikDie Unterrichtsmethodik wird wesentlich bestimmt durch Gruppenarbeit bzw. durch projektartige Verfahren. Dabei sei es erlaubt, den Projektbegriff angemessen zu modifizieren: Ich betrachte die Präsentation von Ergebnissen geistiger Arbeit sehr wohl auch als akzeptable „gegenständliche Produkte" eines Projekts. Wem das Risiko der Aufgliederung der Arbeit in einzelne Teilprojekte, innerhalb derer die Schüler eigenständig und selbstverantwortlich arbeiten, zu groß ist, kann auf arbeitsteilige Gruppenarbeit zurückgreifen. die noch die Möglichkeit gezielter Lehrereingriffe offen hält. Aber auch in diesem Fall sollte den Schülern genügend Zeit für die Arbeit gelassen werden. Der Roman enthält nur wenige für die Schüler kaum lösbare Probleme. Die meisten lassen sich wohl durch Bereitstellung geeigneter Sekundärliteratur lösen. Sofern es gelingt. die richtigen Fragestellungen zu formulieren, wird es möglich sein, nach einem ersten Wirkungsgespräch Arbeitsbereiche abzugrenzen, die von einzelnen Gruppen selbstständig bearbeitet werden können. Für die Besprechung der Ergebnisse bieten sich dann zwei Methoden an: Entweder die einzelnen Gruppen übernehmen phasenweise den Unterricht und vermitteln den übrigen Kurskollegen ihre Ergebnisse (Vortrag, Arbeitspapier, Projektor ...)‘ oder aber der Kurs legt nach erledigter Gruppenarbeit in Absprache mit dem Lehrer/der Lehrerin eine „Besprechungslinie" fest. (Das könnte z. B. die „Romanchronologie" sein. Es könnte aber auch eine übergreifende, problemorientierte Frage wie etwa die Frage nach Glück und Schicksal sein.) Diese Linie wird konsequent verfolgt, wobei die einzelnen Gruppen dort ihre Ergebnisse bzw. Teilergebnisse einbringen, wo es sich von der Problemlage her als notwendig erweist. Für welche dieser Möglichkeiten sich der Unterrichtende auch entscheidet, sie sollte den Schülern vor Arbeitsbeginn bekannt gegeben und erläutert werden. (So würden beispielsweise das Suchen nach Präsentationsstrategien, das Entwerfen von Diskussionspapieren usw. zu Teilen der Aufgabenstellung werden.)Entsprechend den Zielsetzungen der gymnasialen Oberstufe und des Kurssystems sollten die Schüler bei der Arbeit in Gruppen auch Sekundärliteratur heranziehen. Ob man ihnen nun hier die kompletten Werke oder einzelne kopierte Abschnitte zur Verfügung stellt, ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Unerlässlich ist es jedoch, ihnen einen Handapparat zugänglich zu machen, der z. B. etwa folgende Werke umfassen könnte: Natürlich könnte man die Gelegenheit nutzen und die Schüler/Schülerinnen in die Benutzung einer wissenschaftlichen Bibliothek — oder doch der Schülerarbeitsbücherei — und eines möglicherweise vorhandenen Schlagwortkatalogs einführen. Nicht zuletzt wird auch die Internet-Recherche gebührend einzubinden sein. Die folgende Darstellung geht aus von einem deutlich schülerorientierten Arbeiten. Nach einer noch lehrerzentrierten Einstiegsphase arbeiten dieSchüler und Schülerinnen weitgehend selbstständig. So sind dann die weiteren Ausführungen als Darstellung von Ergebnissen zu lesen, die von einzelnen Schülergruppen erarbeitet wurden.
2 Behandlung im UnterrichtSiehe hierzu das Unterrichtsmodell:
Hier zu finden: http://www.weltbild.de/9/friedel++schardt+ebook.html?tt=1&ts=1 oder: |
und hier finden Sie Näheres: |