Aufsatzdidaktik

 

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Grundsätzliches zur Schreiberziehung

 

1   Die didaktische Situation

 

1.0  Es ist wohl müßig, die Entwicklung der Schreiberziehung bzw. der didaktischen Reflexion seit Beginn der 70er Jahre nachzuzeichnen. Einige Schlagwörter sollen kurz in Erinnerung  rufen, worum es in der Diskussion der letzten zwanzig Jahre im Wesentlichen ging.

1.0.1 Kommunikativer Ansatz - Aufsätze = Texte für Leser

       Zu nennen sind hier zunächst zwei wichtige Veröffentlichungen:

     -Boettcher, Firges, Sitta, Tymister: Schulaufsätze - Texte für Leser; Schwann Verlag 1973

      -Eduard Haueis und Ottfried Hoppe: Aufsatz und Kommunikation; Schwann Verlag 1972.

 

           In der Diskussion ging es um den  Grundansatz des Deutschunterrichts überhaupt, d.h. um die Frage, was im Mittelpunkt der unterrichtlichen Bemühungen zu stehen habe. Und da lag es eben nahe, in einem Fach, das sich mit Sprache -genauer: mit der Muttersprache- beschäftigte, danach zu fragen, wozu denn Sprache gemeinhin benutzt wird. Im Bereich der Aufsatzerziehung wurde der kommunikative Ansatz ernst genommne. Texte (man sprach eben nicht mehr von "Aufsätzen!) sollten nun hergestellt werden für kommunikative Situationen, sie hatten keinen Selbstzweck mehr, sondern dienten einem Zweck innerhalb der Kommunikation, waren an Leser gerichtet und mussten in ihrer Konstitution aus der Situation heraus, für die sie gedacht waren, begründet werden. Der Ansatz war zu begrüßen eben als ein möglicher, sogar als ein wichtiger Ansatz, er durfte allerdings nicht verabsolutiert werden, da eben auch Texte möglich wenn nicht notwendig sind, die eben nicht so ohne weiteres kommunikativen Zwecken dienen, so z.B. der Tagebucheintrag, die Erörterung, vielleicht auch einzelne fiktional-ästhetische Formen.

 1.0.2 Stichwort: Situationsdidaktik

          Hier ist vor allem Siegfried Weinmann zu nennen, der in seinem Konzept von "komplexen Schreibsituationen" spricht, auf die wir an anderer Stelle ausführlicher eingehen müssen. Hier nur so viel: Selbstverständlich sind Situationen, die eine schriftliche Aktion erfordern, nicht "linear" konstituiert, sondern enthalten eine Vielzahl von Aspekten, die eine Vielzahl einzelner Textformen und -formvarianten möglich machen. Allerdings ist bereits hier festzustellen, dass in der Regel nur wenige Textformen tatsächlich adäquate Reaktionsformen darstellen. (Wenn ich mich gegen einen zu unrecht erhaltenen Strafzettel wehren will, gibt  es nicht allzu viele schriftliche Formen, meine Interessen durchzusetzen.) Insgesamt aber  stellt die Situationsdidaktik eine "schöne Sache" dar, besonders für einmalige Unternehmungen. Im Unterrichtsalltag aber haben wir nicht immer passende Situationen parat. Dort sind wir auf Simulationen angewiesen. Darüber hinaus aber ist zu bedenken, dass eben komplexe Situationen u.U. recht komplexe Textformen erfordern, und das bedeutet: es ist sehr schwer, solche Textformen sachgerecht im Unterricht zu behandeln, d.h. einen methodisch sinnvollen (und für die Schüler nachvollziehbaren) Weg der Ein- bzw. Hinführung zu finden. M.a.W.: Aus methodischen wie aus lerntheoretischen Überlegungen heraus werden wir wohl doch dahin kommen, dass wir zunächst das Einfache, (vielleicht auch: die vereinfachte Übungsform) im Unterricht zu behandeln und erst dann uns dem Komplexen zuwenden, das wir gegebenenfalls aus dem Erlernten zusammensetzen.

            (Ein Beispiel, durchgeführt im Projekt, findet sich unter: Schreiben in echten Situationen)

 1.0.3 Stichwort: Aufsatzerziehung als Hilfe zur Emanzipation

      Hier geht es vor allem um das Buch von Werner Ingendahl: Aufsatzerziehung als Hilfe zur Emanzipation; Schwann Verlag 1972. 

         Wird der kommunikative Ansatz ernst genommen, so überzeugen die Überlegungen von Ingendahl insofern, als es natürlich darum geht, vor der Textproduktion zunächst einmal Einsicht zu gewinnen in die Situation, in die hinein der Text agieren soll. M.a.W. Aufsatzerziehung kann sehr wohl Hilfe zur Emanzipation leisten, wenn sie anleitet, Situationen zu durchschauen, wenn sie anleitet, in Situationen sachgerecht zu agieren, wenn sie darüber hinaus aber auch anleitet, in Situationen partnergerecht zu agieren und schließlich, wenn sie den Schüler in die Lage versetzt, in Situationen berechtigte eigene Interessen zur Sprache zu bringen und damit zu verfolgen.

          Die hier  wiedergegebenen Tendenzen, die mit beginn der 70er Jahre um sich griffen, haben einiges an Attraktivität verloren. Wenn wir uns die derzeit gültigen Lehrpläne etwas genauer anschauen, so stellen wir fest, dass die verantwortlichen Kultusbürokratien sich kaum noch um die Ergebnisse der Didaktik der 70er und 80er Jahre kümmern. Lediglich in den Einleitungen der Lehrpläne finden sich noch akzeptable Absichtserklärungen, die dann allerdings Leerformeln bleiben. Wenn es um die konkrete Auffüllung der edlen Ziele geht, zieht man sich in einem salto mortale in die 50er Jahre zurück und reiht die alten "Schulaufsatzformen" aneinander, die dann jeweils ohne weitere Begründung einzelnen Klassenstufen zugeordnet werden. Versucht man, die verschiedenen, in den Lehrplänen der alten Bundesländer geforderten Aufsatzarten zu zählen, so kommt man auf eine Zahl von weit über 130 verschiedenen Nennungen. Dabei wird gelegentlich ein und dieselbe Sache mit recht verschiedenen Begriffen bezeichnet ( zu der Aufsatzart "Erzählen eines Erlebnisses" finden sich recht unterschiedliche Bezeichnungen von Erlebnisbericht über Erlebniserzählung bis zur Erlebnisschilderung), andererseits bezeichnet ein Begriff in verschiedenen Bundesländern recht verschiedene Textarten, so bezeichnet z.B. der Begriff "Bildbeschreibung" in BaWü die Interpretation eines Kunstwerks, während er in Hessen die Darstellung des Informationsgehalts einer bildlichen Darstellung meint. Insgesamt wird eine Tendenz ganz besonders deutlich: Rückkehr zum "klassischen Schulaufsatz" unseligen Angedenkens, der seinen Zweck in sich selbst trägt, bzw. der einzig und allein der Notengebung  dient und damit einer nicht mehr weiter begründbaren Selektion. Kein Wort mehr ist zu hören von "komplexer Schreibsituation", von "Hilfe zur Emanzipation". An Ihre Stelle tritt zunehmend das Funktionieren in unüberschaubaren, aber durch spezifische Richtlinien klar abgegrenzten Situationen. "Kommunikation" ist sogar in einzelnen Ländern zum Tabuwort geworden. Man scheint weniger interessiert am kommunikationsfähigen als vielmehr am reibungslos funktionierenden Staatsbürger. Ein thematisch verbundener, integrativer Deutschunterricht, wie er den Didaktikern vorschwebt, bleibt angesichts der Vielfalt geforderter Einzelformen doch Lippenbekenntnis, zumal die geforderten Einzelformen doch weitab von jeder außerschulischen Textwirklichkeit liegen. Vielleicht wird hier einiges überpointiert gesagt, manches ist vorläufig nur Tendenz, noch nicht Realität. Sehen wir aber in die einschlägigen Schulbücher und denken an die Genehmigungspraxis in den einzelnen Bundesländern, so stellen wir doch fest, dass die Tendenz bereits via Schulbuch massive Schulwirklichkeit zu werden beginnt. Am Ende stellen wir fest, dass selbst Didaktiker, wie etwa Franz Hebel, ihr Damaskus hinter sich haben und sich mehr und mehr zu >Hofpoeten entwickeln und alte, mehr oder weniger neu aufgezäumte Steckenpferde zu reiten begonnen haben.

 1.1  Grundlegende Zielvorstellungen

         Was bleibt uns Deutschlehrern zu tun übrig? Wir können nicht an den Lehrplänen vorbei unterrichten. Wir können auch nicht alle unsere eigenen Sprachbücher machen. Aber wir dürfen  auch nicht so tun, als habe es die Aufsatzdidaktik der letzten zwanzig Jahre überhaupt nicht gegeben. Ich meine, es war wohl nicht alles falsch, was in diesen zwanzig Jahren gedacht wurde, vor allem, soweit es die Schreiberziehung betraf, d.h. die Hinführung zu schriftlichem Eingreifen in Kommunikation bzw. zum schriftlichen Kommunizieren. Dabei ist hier schon festzuhalten, dass es in der Schreiberziehung nicht nur um schriftliche Kommunikation geht, sondern auch um ein schriftliches Sich-Äußern, ohne dass dabei gleich notwendigerweise ein Leser mitgedacht wird. Allerdings bleiben solche Textformen und Formen des schriftlichen Sich-Äußerns, die auskommen ohne Kommunikationssituation, doch die seltenere Form. In aller Regel wird man von Kommunikationssituationen auszugehen haben. Das hier vorzulegende Konzept versucht sich zwischen Scylla und Charybdis durchzumogeln. Es kann und darf kein ideales, es will vielmehr ein praktikables Konzept sein, das zwar auf einzelne Textarten wie sie die Lehrpläne fordern, abhebt (sich also darauf konzentriert, die in den meisten Lehrplänen vorkommenden Textarten für den Unterricht aufzubereiten), das sich aber andererseits wesentlichen didaktischen Einsichten verpflichtet weiß. Diese Einsichten implizieren Zielsetzungen, die hier kurz genannt seien:

 1.1.1 Entwicklung und Vertiefung der Fähigkeit zur Situationsanalyse 

     Hier geht es im Wesentlichen darum, die an der Konstitution einer Situation beteiligten wesentlichen Faktoren zu erkennen, d.h. also z.B. Urheber, Zwecke, Absichten, Gründe, Folgen und dergleichen mehr identifizieren zu können. 

1.1.2 Mit dem Identifizieren der Faktoren kann es nicht genug sein. Diese Faktoren müssen auch benannt, d.h. sprachlich zum Ausdruck gebracht werden. Damit ergibt sich als Ziel die Erweiterung der sprachlichen und damit letztendlich auch der kognitiven Kompetenz.

 1.1.3 Direkt abgeleitet wird nun hieraus das Ziel der Befähigung zur  sachgerechten und situationsbezogenen Darstellung, wobei "sachgerecht" die entsprechende Sachkompetenz und die an sie gebundene sprachliche Kompetenz meint, während "situationsbezogen" das Sich-Einstellen-Können auf Partner, deren Erwartung und Sprachniveau usw. meint.

 1.1.4 Jeder Mensch hat Wünsche, Absichten, Bedürfnisse. Er ist bestrebt, diese durchzusetzen oder doch soweit wie möglich bzw. berechtigt zu realisieren. Oft stehen den eigenen Interessen fremde Interessen entgegen, und es kommt zur Auseinandersetzung. Diese Auseinandersetzung wird oft zunächst einmal verbal geführt. Hier ergibt sich als Ziel für die Schreiberziehung: Befähigung zur Durchsetzung berechtigter Interessen. 

1.1.5 Ein letzter Zielbereich sei noch angesprochen, der nicht unmittelbar mit kommunikativer Situation und kommunikativer Intention zu tun hat, sondern vielmehr in Richtung "Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung" verweist. Es geht hier darum, die Schüler zu befähigen, kreative Fähigkeiten zu entwickeln, die sie in die Lage versetzen, sich auch "künstlerisch" zu entfalten, den "Möglichkeitssinn" Wellershoff) zu üben, Phantasie anzuregen und freizusetzen.

 1.2 Die didaktische Grundsituation: Deutschunterricht - Schreiberziehung - außerschulische Wirklichkeit

     Der Deutschunterricht berührt mit der Schreiberziehung neben dem Sprachunterricht in besonderer Weise die außerschulische Realität. Die Gesellschaft und ihre Erwartungen in Hinsicht auf den Absolventen einer Schule werden für die Lerninhalte von besonderer Bedeutung. So kommt es nicht  von ungefähr, dass beispielsweise die Industrie. und Handelskammer eines Bundeslandes gewichtige Einwände vorgebracht hat gegen einzelne Teile eigenes Lehrplans, und dort gegen den Bereich "Verfassen von Texten". Hier haben wohl die einschlägigen gesellschaftlichen Institutionen tatsächlich ein praktisches (und auch berechtigtes) Interesse daran, dass die Schule vorbereitet auf diejenigen Verfahrensweisen und Techniken, die im so genannten "späteren Leben" gebraucht werden. Der Schüler hat nun andererseits einen Anspruch darauf, auf diese Erwartungen angemessen vorbereitet zu werden. Das bedeutet noch nicht, dass er an diese Erwartungen angepasst werden soll, aber er muss einfach wissen, welche Formen z.B. die Sprache bereithält, um in einer bestimmten alltäglichen Situation angemessen zu reagieren. Der Schüler muss darauf vorbereitet werden, Sprache in den Formen sachgerecht einzusetzen, die das spätere Leben von ihm fordert. Er muss lernen, auf bestimmte situativ und/oder institutionell bedingte Anforderungen adäquat sprachlich zu reagieren. Dazu muss er in der Lage sein, die Anforderungen selbst als solche zu identifizieren, sie zu überprüfen und ihnen dann geeignete Strategien zuzuordnen. Das bedeutet selbstverständlich auch: dass er über diese Strategien ebenso verfügen muss wie über die Fähigkeit, einen entsprechenden Transfer durchzuführen. Dem Schüler müssen also Operationen vermittelt werden, die es ihm erlauben, Kommunikationssituationen zu analysieren, die jeweiligen Interessenslagen, Bedingungsfelder usw. zu erkennen, einzuschätzen und entsprechend der eigenen Interessenslage dann auch zu verfahren. Darüber hinaus muss er wissen, dass je nach Kommunikationssituation auch eine angemessene Sachkompetenz erforderlich ist, um sich situationsgerecht schriftlich zu äußern. Wie viel Sachkompetenz jeweils notwendig ist und welcher Art sie sein muss, ist wiederum abhängig von der konkreten Situation Das heißt also: Am Beginn jeder Schreiberziehung und vor allem am Beginn ihrer didaktischen Reflexion kann nicht die Frage der einzelnen Textarten Aufsatzformen oder dergleichen stehen. Wir müssen  vielmehr von Situationen ausgehen, die schriftliche Äußerungen erfordern. Solche Situationen sind nun immer komplexer Natur, das bedeutet: In jeder dieser "Schreib-"Situationen sind prinzipiell mehrere verschiedene Textarten als Verhaltensstrategien möglich, je  nach Gewichtung der einzelnen an der Situationskonstitution beteiligten Faktoren. Als solche Faktoren kommen vor allem in Frage:

            - die Sache bzw. die Sachlage

            - das Interesse des Autors

            - die Erwartung des Lesers und sein Horizont.

 So kann sich nun die eine oder die andere Textart als angemessener erweisen bzw. im Lauf der Geschichte erwiesen haben. Daraus ergibt sich nun wiederum, dass der Schüler zunächst einmal lernen muss, die einzelnen Textfaktoren entsprechend der situativ verankerten Aufgabenstellung bzw. der Problemlage in der außerschulischen Realität verschieden zu berücksichtigen. Für die schulischen Aufgabenstellungen bedeutet das: Sie müssen die Wirklichkeit zumindest insofern simulieren, als sie die zu berücksichtigenden Schreibfaktoren erkennen lassen müssen. M.a.W.: In der Aufgabenstellung, die zum Schreiben eines Textes führt, muss in aller Regel der Verwendungszusammenhang ausformuliert und für den Schüler erkennbar sein, da ja die Fähigkeit, mit einer Situation sachgerecht fertig zu werden, Teil der später anzuwendenden Bewertungsgesichtspunkte sein sollte.

      Nun werden wir den Schüler aber nicht ganz der Situation überlassen und ihn von Situation zu Situation neu entscheiden lassen, welche Strategien er wann anzuwenden hat. Im Verlauf der Geschichte haben sich besondere Aktions- und Reaktionsmuster für bestimmte Situationen als besonders geeignet herausgestellt. Solche Kommunikationsmuster/-strategien müssen dem Schüler vermittelt werden. Wir können nicht davon ausgehen, dass Kinder neue Darstellungsformen gewissermaßen am laufenden Band erfinden können. Im Lauf der Geschichte wurde eben eine breite Palette von Schreibformen entwickelt, deren Brauchbarkeit heute - zunächst einmal in vielleicht simulierten -Situationen zu überprüfen ist, die aber dann angewendet und eingeübt werden sollten. So ist es z.B. nicht notwendig, jedes Mal, wenn eine Entschuldigung fällig wird, ein Entschuldigungsschreiben neu zu erfinden oder eine neue Textart zu kreieren, die zur Versöhnung führen könnte. Es genügt hier, das entsprechende Muster verfügbar zu haben. Natürlich wird es gelegentlich notwendig werden, solche überkommenen Muster neu zu fassen bzw. situationsgerecht zu modifizieren und sie gar zu ersetzen. Das ergibt sich schon aus der historischen Veränderung der Situationen bzw. der in sie eingebetteten Absichten... bzw. auch aus der Veränderung der Medien der Übermittlung. So hat z.B. der Entschuldigungsbrief nur noch in ganz bestimmten Situationen seine Berechtigung. In vielen Fällen ist er durch den Telefonanruf ersetzt. Offenkundig wird das hier Gemeinte am Beispiel der Reportage, die sich durch die Veränderung der Trägermedien bereits mehrfach bis in die Tiefenstrukturen der Sprache hinein geändert hat. (Ähnliches gilt auch für die Nachricht, die sich vom Flugblatt und Bänkellied bis zur Ein-Satz-Rundfunk-Nachricht immer wieder sowohl in ihrer äußeren Gestalt wie in ihrer inneren Struktur geändert hat.)

 1.3 Die Situation im konkreten Unterricht

      Es ist wohl unmöglich, im konkreten Unterricht alle oder auch nur die wichtigsten im Lauf der Geschichte entwickelten Schreibmuster zu behandeln. Ebenso können wir nicht auf alle denkbaren Situationen vorbereiten bzw. sie  simulieren. Da aber einzelnen Gruppen von Situationen bestimmte Merkmale gemeinsam sind, können wir versuchen, so etwas wie Idealtypen von Situationen zu gewinnen, denen man  dann bestimmte, ebenfalls idealtypische, Schreibhaltungen und Gestaltungsformen zuordnen könnte. Gewiss, in jeder Kommunikationssituation sind aufgrund ihrer Komplexität prinzipielle immer mehrere Textarten möglich. Aber wir können doch aus der jeweiligen Konstellation von Sachanspruch, Hörererwartung und Sprecherinteresse (das wären wohl die wichtigsten beteiligten "Faktoren") eine typisierende Schwerpunktbildung ableiten. Die genannten Faktoren erinnern wohl an das Bühlersche Organon-Modell, welches allerdings  für andere Zwecke in anderem Zusammenhang entworfen wurde. Wir können dieses Modell nicht ohne weiteres auf den Bereich der Situations- und Texttypisierung übertragen, ohne wesentliche Wirklichkeitsbereiche zu vernachlässigen. So wäre etwa der Gesamtbereich der sozialverbindlichen und normierenden Texte nur schwer (wenn überhaupt) zu fassen. Gleiches gilt für texte, die dem bereich der Reflexion zuzurechnen sind. Andererseits aber ist ein Typisieren, ein Abstrahieren notwendig, will man den Schüler (und dann auch den Unterricht) nicht dem Chaos der Einzelfälle ausliefern. Eine Kasuistik, das leuchtet schnell ein, führt nicht allzu weit, sie würde dem Zufall Tür und Tor öffnen. Wenn wir also typisieren wollen, so werden wir vor allem darum bemüht sein müssen, wesentliche Situationsmerkmale zusammenzustellen und zu bündeln und dann in ähnlicher Weise auch Textmerkmale herauszufiltern, die entsprechenden Situationsmerkmalen zugeordnet werden können. So etwa könnte eine Typisierung entstehen, wobei immer einige Vorsicht angebracht ist: Allzu leicht gerät man in die Situation, dass man vom mühsam gewonnenen Idealtyp her deduziert und künftig Realsituationen so zurechtbiegt, dass sie ins bekannte Raster passen. Eine Deduktion könnte auch an der außerschulischen Sprachwirklichkeit völlig vorbeiführen. Das ist in vielen Fällen zu beobachten, wo z.B. heute noch Berichte geschrieben werden, die in der Form, wie sie von Schülern verlangt wird, nirgends in der außerschulischen Wirklichkeit vorkommen. Eine weitere Gefahr, mit der wir zu rechnen haben, wäre etwa: Als Folge der Typisierung, der Abstraktion also, könnten Klischees entstehen, die wenig aussagekräftig bleiben und letztendlich weder als Schreibanweisungen wie als Kategorien der Situationsanalyse nicht brauchbar sind. So bringt z.B. die Anweisung: "sachlich" oder "genau darstellen" wenig, wenn nicht im konkreten Fall geklärt wird, was jeweils zu verstehen sein soll.

 

     Auf ein Letztes soll noch hingewiesen werden: Bei dem, was wir in der Schule erarbeiten, wird es sich meist um Übungsformen handeln, die eben in der außerschulischen Wirklichkeit zwar Entsprechungen haben können, die aber meist nicht in der geübten Reinform, sondern als Mischform vorkommen. Das bedeutet, dass wir auch das "Mischen" lehren müssen. Es bedeutet aber auch, dass der Typisierungsversuch, den ich im Folgenden vorstellen möchte, nicht als geschlossenes System zu verstehen ist. Es sind prinzipiell auch weitere Typen denkbar. Es handelt sich also um ein didaktisches Raster und nicht um ein fachwissenschaftlich orientiertes Schema zur Erfassung verschiedener Textsorten.

 

     Die Typisierung soll es uns erlauben, das zu erfassen, was methodisierbar ist, und es der Schreiberziehung als lehrbar zugänglich zu machen. Es wird dann auch möglich sein, die in den Lehrplänen geforderten Aufsatzformen weitgehend einzuordnen und gegebenenfalls sie im Unterricht zu behandeln. Allerdings werden diese Formen dann weniger Eigenwert beanspruchen. Sie können bestenfalls als "typische" Exemplare gelten, die für einzelne Fälle, wie sie dann in der Wirklichkeit auftreten können, modifiziert werden müssen. Wir müssen dann im Unterricht auch dieses Modifizieren üben bzw. Kriterien und Faktoren reflektieren, die zu beachten sind.

Ich benutze also den Ausweg über die Idealtypen,

a) um dem Chaos der Einzelfälle zu entgehen und

b) um gleichzeitig die Verbindung zur außerschulischen Wirklichkeit nicht abreißen zu lassen.


 

2   Situationstypen und Schreibhaltungen

 Sehen wir uns nun an, welche wesentlichen  Situationstypen sich finden lassen, immer in dem Bewusstsein, dass wir gewissermaßen eine offene Liste anlegen, die bei Bedarf noch zu ergänzen ist

2.1  Der erste Situationstyp: Die "Sache" steht im Mittelpunkt.

 Der hier anzusprechende Situationstyp ist dadurch gekennzeichnet, dass sich sowohl das Interesse des Sprechers/Schreibers wie auch das des Hörers/Lesers annähernd ausschließlich auf die zu übermittelnde Sache, den Sachverhalt, das Geschehen usw. richtet. Im Mittelpunkt der Kommunikation steht also der Redegegenstand selbst. Besondere Bedeutung gewinnen die sachlogischen Zusammenhänge. Anzumerken ist, dass selbstverständlich auch in diesem Fall sowohl Sprecher/Schreiber als auch Hörer/Leser an der spezifischen Konstellation der Kommunikationssituation beteiligt sind, zumindest was die Sachkompetenz der beiden betrifft, was die Erwartungen des Lesers /Hörers und die Absichten im engeren Sinn des Sprechers /Schreibers angehen. Deshalb erscheint es mir sinnvoller, hier vom "Redegegenstand" zu sprechen statt vom "Sachverhalt an sich". Dieser Sachverhalt an sich nämlich ist losgelöst von der konkreten Kommunikationssituation kaum greifbar. Die Schreibhaltung, die diesem Situationstyp entspricht, wird in gleicher Weise wie die Situation vornehmlich durch den Redegegenstand und die sachlogischen Zusammenhänge bestimmt. Das bedeutet:

-Der Autor muss, ehe er die in Frage stehende Sache mitteilen kann, diese Sache und ihre Zusammenhänge selbst durchschauen und in ihrer inneren Struktur, Gliederung usw. begriffen haben.

-Dazu braucht er neben dem notwendigen Sachverstand auch jeweils einschlägige sprachliche Strategien, so z.B. muss er die entsprechenden Fachbegriffe beherrschen, er braucht syntaktische Muster, die es ihm erlauben, bestimmte logische Zusammenhänge darzustellen, er braucht syntaktische Muster, die es ihm erlauben auch andere -etwa zeitliche- Zusammenhänge "sachgerecht" zum Ausdruck zu bringen. 

-In der Regel wird außer dem Sachverhalt auch der Empfänger und sein bisheriger Wissensstand - bezogen sowohl auf den zu vermittelnden Sachverhalt als auch auf die der Vermittlung dienenden sprachlichen Muster - zu berücksichtigen sein.

 

Schließlich spielt bei der hier in Frage kommenden Schreibhaltung auch das Medium eine Rolle, das als Träger der Information vorgesehen ist. 

Wir können hier von der idealtypischen Darstellungsart der direkt-referentiellen Information sprechen. Dem angesprochenen Bereich gehören dann Textarten wie Nachricht, Bericht, Beschreibung, Zeitungsbericht, Anleitung usw. an. Anzumerken ist noch, dass die Anleitung selbst zwar, betrachtet man etwa die Verbformen, Aufforderungscharakter hat. Sie richtet sich allerdings an keinen konkreten Empfänger. Auch bei ihr steht  die Sache selbst im Mittelpunkt d es Kommunikationsprozesses und damit auch im Mittelpunkt des Textes.

 2.2 Zweiter Situationstyp

 Einen zweiten Situationstyp können wir konstruieren, wenn wir die gemeinsamen Merkmale all jener Situationen zusammenziehen, in denen es weniger um einen Sprecher-Hörer-Bezug geht, als vielmehr um die Auseinandersetzung eines Sprechers/Schreibers mit einem Gegenstand, einem Problem, einem Sachverhalt usw. es handelt sich hier also um Situationen, in denen sich ein einzelner konfrontiert sieht mit einem zunächst noch nicht ganz zu durchschauenden Problem, einer Herausforderung, der er sich stellt und die er nachdenkend zu bewältigen versucht. In diesem Zusammenhang kann wohl weniger von einer Kommunikationssituation im eigentlichen Sinn gesprochen werden. Im Unterricht findet das dann seinen Niederschlag in den Schwierigkeiten, die entstehen, wenn man eine adäquate Schreibsituation sucht bzw. simulieren will, um das Schreiben entsprechender Textarten zu situieren bzw. zu motivieren. Wir können dann zwar entsprechende Empfänger anbieten, denen das Resultat der Überlegungen mitgeteilt werden soll, dabei handelt es sich aber doch immer wieder nur um Notbehelfe, die es uns erlauben, den Schülern die Notwendigkeit der hierher gehörenden Textarten wenigstens zum Teil einsichtig zu machen. Wir sollten uns aber darüber im Klaren sein, dass nicht alle hier her gehörenden Textarten von Kommunikations-situationen her zu motivieren bzw. zu begründen sind. Es sind vielmehr sehr wohl Situationen denkbar, in denen ein einzelner sich schreibend mit einem Problem auseinandersetzt, ohne auch nur im Entferntesten an einen Empfänger seines Textes zu denken.

 Es wird deutlich, dass es sich bei dem hier zu konstruierenden Idealtyp wirklich um ein ideales Konstrukt handelt. In der Wirklichkeit wird man recht häufig auf Misch-ormen treffen (zumindest  was die Einbettung der Textteile betrifft, die sich mit der Auseinandersetzung um ein Problem, um eine Begründung usw. befassen).

 Versuchen wir, dem Situationstyp eine Schreibhaltung zuzuordnen, so werden wir auf die Haltung des diskursiven Erörterns, des Nachdenkens, des Sich-Auseinandersetzens verwiesen. UIshöfer (in der "Methodik des Deutschunterrichts, Mittelstufe 2 Neubearbeitung 1974) spricht in diesem Zusammenhang vom "Reflexionsstil". Ich übernehme den Begriff, mache aber ausdrücklich darauf aufmerksam, dass die von Ulshöfer hier eingeordnete Meinungsstilform m.E. zu einem anderen Situationstyp gehört, da die Meinungs-äußerung ganz anders kommunikativ eingebunden ist.

 

Merkmale, die die hier einzuordnende Schreibhaltung bestimmen, sind: Präzision und Differenziertheit im Ausdruck, klar abgegrenzte Abstraktionsgrade (z.B. präzise Unterscheidung von Argument und Beispiel), komplexe grammatische Strukturen, die komplexe inhaltliche Zusammenhänge darzustellen vermögen.

 

Textformen, die hier in Frage kommen, sind u.a.: Begriffsdefinition, Begriffsklärung, Erörterung; Begründung usw.

 2.3 Einen dritten Situationstyp können wir ausmachen im Bereich jener Situationen, in denen ein Sprecher und seine Absicht im Mittelpunkt des Kommunikationsprozesses stehen. Der Situationstyp ist gekennzeichnet  durch die - sei es erklärte, sei es verschleierte - Absicht des Sprechers, den Hörer zu veranlassen, sein Verhalten im Sinne des Sprechers zu ändern oder auch beizubehalten, d.h., sich den Intentionen des Sprechers zu unterwerfen. Immer werden der Sprecher und seine Intention dominieren. Natürlich wird im Einzelfall der Empfänger d es jeweiligen Textes den Kommunikationsprozess insofern mitbestimmen, als es natürlich einem Sprecher/Schreiber darum gehen muss, seinen Leser an einem ganz bestimmten Punkt "abzuholen", seine Erwartungen abzuschätzen, seine Fähigkeiten zu beurteilen, um angemessene Strategien auswählen zu können. In gleicher Weise wird in diesem Fall von Situationen auch das jeweils zu Verhandelnde eine gewisse Rolle spielen. Doch wird das zu Verhandelnde nur vordergründig Redegegenstand sein. Hinter diesem vordergründigen Redegegenstand ist der "eigentliche" Redegegenstand, eben die Intention des Sprechers /Schreibers auszumachen. Am Beispiel: In einer Werbeanzeige, in der ein PKW angepriesen wird, geht es vordergründig um Informationen über technische Details, die  dieser PKW anzubieten hat. Der eigentliche Redegegenstand aber ist in dem Wunsch des Texturhebers zu sehen, möglichst schnell und möglichst viele Leser zum Kauf des Pkws zu bewegen.

 Wenn also auch der Sprecher und seine Intention dominieren, so muss der Sprecher doch auch bei der Textkonstitution, will er seine Intention optimal realisieren, auch die Erwartungen, den Horizont, die Bedürfnisse usw. seines potentiellen Lesers einschätzen und in seinen Strategien berücksichtigen.

 Dem Situationstyp entspricht als Schreibhaltung die appellierende Haltung. Dabei ist es nicht immer leicht, auf der Textoberfläche bereits entsprechende Textmerkmale auszumachen. Oft sind entsprechende Textarten nur in der konkreten Verwendungssituation als hierher gehörend identifizierbar. Man kann zwar von einer eigenen Darstellungsart des Werbens und Appellierens sprechen, doch können auch andere Darstellungsarten bis hin zum poetischen Text herangezogen und wirkungsvoll eingesetzt werden. Ein Hinweis sei hier gestattet: Der Deutschunterricht sollte sich auf die appellierenden bzw. werbenden Darstellungsformen im engeren Sinn wie z.B. die Werberede oder das Flugblatt beschränken, zumindest was die Text-Produktion betrifft.

 2.4 Der vierte Situationstyp

 Einen vierten Situationstyp können wir ausmachen, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass wir annähernd ununterbrochen in Situationen stehen, in denen unser Handeln vorgeschrieben, festgelegt ist, oder wir selbst das Handeln anderer festschreiben bzw. ein bestimmtes Verhalten mit andern vereinbaren. Es ist nicht ganz einfach, die in Frage kommenden Situationen klar zu umreißen, da sie schon so alltäglich geworden sind, dass sie nicht mehr besonders auffallen. Gemeint sind all jene konkreten Situationen, in denen menschliches Handeln normierend vereinbart und festgelegt ist bzw. werden soll. Es handelt sich auf den ersten Blick nicht um Kommunikationssituationen im engeren Sinn, sondern eher um lebenspraktische Situationen, in denen sozusagen "extraverbal gehandelt" wird. Allerdings beruht das Handeln auf einer gewissermaßen implizit voraus liegenden Kommunikationssituation. Der Redegegenstand dieser vorausgegangenen Kommunikationssituation entsteht erst durch die jeweils vereinbarten Texte. Autor dieser Texte ist entweder ein einzelner bzw. eine Gruppe weniger, die die Macht haben, Normen zu setzen und ihre Einhaltung zu garantieren, oder eine Gruppe, die Verhaltensregeln kodifiziert und für alle Gruppen-mitglieder festlegt. Hörer/Leser/Empfänger sind im ersten Fall meist andere, im zweiten Fall sind sie idealiter mit den Sprechern identisch. Der Sachverhalt nun, der Gegenstand der Kommunikation ist, ist das tatsächliche oder mögliche Handeln bzw. Verhalten der jeweiligen Zielgruppe. D. h. also: Es gibt ihn vor dem Text nicht, er wird vorhergesehen und schon reguliert, ehe er in actu vorhanden ist.

 

Gerade aus der spezifischen Kommunikationssituation und aus der Absicht, die die entstehenden Texte verfolgen, ergeben sich ganz bestimmte Merkmale, die die Schreibhaltung klar bestimmen: Normierungen müssen eindeutig sein, deshalb müssen die in Frage kommenden Textarten diese Eindeutigkeit garantieren. Handeln wird hier festgelegt und nicht begründet, deshalb kann auf die Darstellung begründender Zusammenhänge verzichtet werden. Stattdessen werden Sprachmuster notwendig, die es erlauben, potentielle Fehlverhalten und die damit verbundenen Sanktionen ins Auge zu fassen. Es geht hier um die Darstellungsformen des Rechts bzw. der sozialverbindlichen Normierung. Textarten, die hier in Frage kommen, sind Gesetze, Verträge, Ordnungen, Regeln u.ä.

 2.5 Der fünfte Typ

 Es bleibt nun noch mindestens ein Typ von Situationen offen, der fast überhaupt nicht klar abzugrenzen und nur schwer zu fassen ist. Er ist kaum definierbar, insofern es sich hier nicht um Kommunikationssituationen im Sinne des bisher Gesagten handelt. Gemeint sind jene Fälle, die mit den Stichwörtern "Unterhaltung", "künstlerische Gestaltung", "Entfaltung der Persönlichkeit", "kreative Tätigkeit" usw. angesprochen werden können.

 

Ich will hier nicht versuchen, eine ästhetische Theorie in Kürzestfassung vorzulegen. Interessant aber scheinen mir vor allem folgende Aspekte zu sein:

 -Die bisher genannten Textfaktoren verschieben sich und ändern ihr Verhältnis zueinander. Sie werden gewissermaßen "entautomatisiert"(Mukarovsky).

 -Die Situation ist eine qualitativ völlig andere als all jene, die wir bisher kennen gelernt haben. Das Interesse des Sprechers ist nicht "objektgerichtet". Es lässt sich vielmehr als ein (ästhetisches) Interesse, das auf expressive Gestaltung aus ist. Wir können es auch als ein "ästhetisches Interesse fassen, das heißt als ein Interesse, das sich annähernd ausschließlich auf den Text ausrichtet, dessen Redegegenstand erst durch den Text konstituiert wird, wobei gelegentlich Text und Redegegenstand zusammenfallen können (dann nämlich, wenn es etwa um spielerischen Umgang mit Sprache bzw. Textelementen geht).

 -Der Gegenstand des Interesses also ist nicht außerhalb der Situation zu suchen, sondern in ihr selbst, genauer gesagt: in dem, was bisher immer als Medium der Kommunikation fungierte: im Text.

 Fragen wir nun nach einer angemessenen Beschreibung der zugehörigen Schreibhaltung, so wird es wohl noch schwieriger. Wenn Situation und Interesse schon so eng miteinander verknüpft sind, dann wird wohl auch die Schreibhaltung über den Weg des Interesses eng an die Situation geknüpft sein und umgekehrt. Vielleicht können wir uns dem in Frage kommenden Darstellungstyp dadurch etwas nähern, dass wir uns die anfallenden Textarten etwas näher anschauen. Sie sind offen für prinzipiell alle "Redegegenstände", seien sie nun vorhanden oder in der Fiktion erst zu entwerfen. Dabei ist zu beachten, dass selbst real vorhandene Redegegenstände, werden sie in einen solchen Text aufgenommen, durch den Text neu geschaffen werden und dann nicht mehr ohne weiteres in der außertextlichen Wirklichkeit überprüft werden können. Dieser Umstand gewinnt besondere Bedeutung, wenn es etwa um Aufsatzformen wie die "Erlebniserzählung" geht. Das erzählte Erlebnis unterliegt dann primär den Gesetzen der Textkonstitution und damit ästhetischen Gesetzen, und nicht mehr den Gesetzen eines realen Ablaufs in der Wirklichkeit. Der prinzipielle Unterschied also zwischen einem Bericht und einer Erzählung ist darin zu sehen, dass der im Bericht dargestellte Ablauf auch ohne den Bericht existiert(e), während das durch die Erzählung Dargestellte eben nur innerhalb der Erzählung vorhanden ist und durch die Erzählung zur "Wirklichkeit" wird. Die sich hier eröffnenden kreativen Möglichkeiten schließen allerdings eine Methodisierbarkeit (und damit eine Lehrbarkeit) bis zu einem gewissen Grade keineswegs aus. Insofern nun nämlich

- Muster des Erzählens und Darstellens,

- Strategien des Erfindens,

-Regularitäten des Konstruierens und Entwerfens

aus den bisher  vorliegenden Texten abgeleitet werden können. Freilich: im Unterricht wird man dann besonders darauf achten, dass die jeweils gefundenen "Regeln" als Hilfen verstanden werden und der kreativen Veränderung durch die Schüler zugänglich bleiben.

 Wenn wir auch bei diesem fünften Typ von Situationen uns schwer tun, von einer Kommunikationssituation im engeren Sinn zu sprechen, so sollten wir doch davon ausgehen, dass z.B. gerade Erzählungen von ihren Hörern in gewissem Sinne "leben", d.h., wir werden, wenn es darum geht, bestimmte Formen genauer zu beschreiben, auch Wirkungsaspekte, und d.h. den Aspekt Hörer, in unsere Überlegungen einzubeziehen haben. Schließlich wollen wir ja jemandem etwas erzählen, ihn unterhalten, ihn in eine ästhetische Situation "hineinziehen". Damit wird unsere oben angedeutete Definition der Situation zu erweitern sein um den Hörer und sein Interesse. Mit anderen Worten: Wir können nun davon ausgehen, dass das Interesse von Sprecher und Hörer sich als ein "ästhetisches Interesse" verstehen lässt, also ein Interesse, das sich annähernd ausschließlich auf die "Situation" und deren Beibehaltung bzw. Wiederholung" geht, wobei  der Text im Zentrum des Interesses steht. So wird es dann auch darum gehen, bei Fragen der Ästhetik (und das gilt natürlich auch schon für den Aufsatz des Fünftklässlers) zu vermitteln zwischen Innovation einerseits und dem Einhalten bestimmter Regeln andererseits, die eben sich im Laufe der Geschichte als geeignet herausgestellt haben, einen Leser zu unterhalten, sein ästhetisches Interesse zu wecken oder wach zu halten, seine Erwartungen an entsprechende Situationen zu erfüllen usw.

 Eine letzte Anmerkung sei schon in diesem Zusammenhang gestattet: Was die bisher genannten vier Situationstypen betrifft, so fällt es wohl angesichts der außerschulischen Lebenswirklichkeit nicht schwer, genügend Gründe beizubringen, die eine Behandlung im Unterricht sinnvoll erscheinen lassen, ja es geradezu als eine unabdingbare Notwendigkeit darstellen, die Schüler intensiv auf Situationen vorzubereiten, wie sie in den Situationstypen sich spiegeln. Schwieriger wird es da - zumindest unter rein pragmatischen Gesichtspunkten - eine didaktische Begründung für die Beschäftigung mit diesem fünften Typ zu liefern. Allerdings eröffnen sich gerade in dem hier angesprochenen Zusammenhang besondere pädagogische Möglichkeiten, die wir nicht vernachlässigen dürfen.

Die Diskussion um die hier anzusiedelnden Aufsatzarten reicht weit zurück in die Geschichte des Deutschunterrichts. Entscheidende Impulse gab es durch die Kunsterzieherbewegung, aber auch in den zwanziger Jahren (Susanne Engelmann...) wurde Wichtiges gesagt, ehe die entsprechenden Bemühungen aus dem Deutschunterricht verschwanden. In den 50er Jahren wurden die einschlägigen Formen wieder entdeckt, aber leider als "Selektionsinstrumente" missbraucht, und so kam es, dass man in den 70er Jahren zunächst einmal ganz auf sie verzichtete, zumal sie nicht so ganz ins kommunikative Konzept passten. Man befürchtete, die Schüler zu "Kitschproduzenten" zu erziehen, und verzichtete lieber ganz auf alles, was auch nur entfernt nach Kreativität und Nichtkontrollierbarkeit aussah. Angesichts der heute immer weiter um sich greifenden "Sachzwänge", der schon unerbittlich gewordenen "normativen Kraft des Faktischen", scheint es mir un-abdingbar geworden, wenigstens ein kleines Reservat aufrecht zu erhalten, innerhalb  dessen wir es den Schülern noch gestatten können, auch einmal über die situativen Stränge hinaus zuschlagen, Sachzwänge zu ignorieren, Phantasie zu entfalten, kurz: auch einmal eine Gegenwelt zu entwerfen, oder zu erzählen, nur weil es Spaß macht, d.h. also, dem "schönen Schein" und "zweckfreien Spiel" auch eine kleine Ecke zu reservieren. Dass dahinter allerdings auch einige recht handfeste pragmatische Absichten stecken, wird im Rahmen der einzelnen Unterrichtsmodelle noch im Detail nachzuweisen sein.

 

3     Zur Frage der Kriterien der Textherstellung

 Entsprechend den Situations- und Darstellungstypen sind nun Kriterien zur Textherstellung zu entwickeln, die ihre Legitimation aus den genannten Verwendungszusammenhängen beziehen und nicht aus irgendwelchen Ideenhimmeln oder Lehrplänen. Dabei geht es zum einen um die Entwicklung von Kriterien, die, man kann sagen: Allgemeingültigkeit innerhalb des Text-und Situatonstyps beanspruchen. Beispiel: Sachorientiertheit innerhalb des ersten Situationstyps. Andererseits aber werden auch Kriterien zu erarbeiten sein, die es erlauben, das für den Situationstyp Gültige auf den konkret begegnenden Fall zu übertragen und so diesem gerecht zu werden. Problematisch wird es bei der Entwicklung von Kriterien zur Textherstellung im Bereich des fünften Typs. Allerdings wird auch da einiges fixiert werden können.

 Als Leitkriterium scheint mir generell "Angemessenheit" bzw. "Zweckmäßigkeit" geeignet, bezogen jeweils auf die Aufgabenstellung, die selbst wiederum den einen oder anderen Faktor favorisieren bzw. zurückdrängen kann. Der konkrete Unterricht hat nun die Aufgabe, anhand tatsächlicher oder simulierter Situationen exemplarisch Operationsmodelle auszuarbeiten, die es erlauben, die Situationen selbst

-zu analysieren, d.h. die konstitutiven Faktoren herauszuarbeiten,

-ein Arsenal sprachlicher Operationsmodelle zur Verfügung zu stellen,

-Auswahlkriterien zur Verfügung zu stellen, die es erlauben, aus dem Arsenal entsprechend den Analyseergebnissen auszuwählen.

 

Es ist nun zu berücksichtigen, dass es für bestimmte Situationen und Situationstypen bereits zweckmäßige Operationsmuster gibt, die nun auf ihre Brauchbarkeit hin überprüft und -falls sie übernommen werden, in ihrer "Funktionsweise" durchschaut werden müssen. Dabei werden dann jeweils konkrete (aber immer noch: transferierbare) Kriterien sichtbar, die als Handlungs- bzw. Schreibanweisungen Gültigkeit erlangen.

 Es wird also im folgenden bei jedem der vorzustellenden Unterrichtsmodelle immer wieder darum gehen, konkret solche Kriterien bzw. Kriteriengruppen zusammenzustellen, die es zum einen erlauben, die entsprechenden Text herzustellen, die zum andern aber auch es erlauben, die hergestellten Texte auf ihre "Brauchbarkeit" hin zu untersuchen und zu bewerten.

 

4    Das nun in Ansätzen skizzierte Konzept gibt uns die Möglichkeit, Schreiberziehung über längere Zeiträume hinweg zu planen, unabhängig von der konkreten Situation. Aber wir können nun unsere Planungen auch so ausrichten, dass die Wirklichkeit, wie sie den Schülern früher oder später begegnen wird, nicht ganz aus dem Auge verloren wird. Damit nun aber keine Missverständnisse entstehen:

 4.1   Die vorgenommene Typisierung hat Modellcharakter, d.h.

-Es wurde von konkreten Situationen weitgehend abgesehen.

-Es wurde von konkreten Texten weitgehend abgesehen.

-Es wurde  von konkreten, situationsbezogenen Intentionen weitgehend abgesehen.

Damit ergibt sich nun ein abstraktes Modell, das allerdings relativ einfach auf konkrete Situationen transferiert werden kann, sofern der Transfer selbst sowie seine Regeln mitbedacht und behandelt werden.

 4.2  Darüber hinaus wurde idealtypisch ineins gesetzt

-Situationstyp und Texttyp/Schreibform,

-Situationstyp und Schreibabsicht,

-Texttyp und Schreibabsicht.

Durch diese Gleichsetzung wurde einerseits das ganze Verfahren doch sehr stark vereinfacht. Es wurde aber andererseits auch "handhabbar" gemacht und offen für "gemischte Zuweisungen".

 4.3 In der Realität haben wir es in aller Regel mit Mischformen zu tun, d.h.:

-In jeder Situation sind verschiedene Intentionen denkbar und möglich.

-Jede Intention kann u.U. mit verschiedenen Texttypen bzw. Schreibformen verfolgt werden.

 4.4  Damit muss die Zuordnung Situationstyp - Schreibform - Intention relativiert werden. Ein mehrdimensionales Raster allerdings, das unseren Forderungen eher gerecht würde, würde- konkret aufgefüllt - den Schüler eher verwirren als ihm helfen. So wird man im Unterricht wohl doch zunächst einmal von einer idealtypischen Zuordnung ausgehen, um dann behutsam zu weiteren Möglichkeiten zu führen. Bei solchen Weiterführungen bieten sich grundsätzlich zwei Vorgehensweisen an:

-Nach der Erarbeitung einer idealtypischen Schreibform werden weitere Einsatzmöglichkeiten dieser Form erprobt.

-Verschiedene Schreibformen werden in ein und derselben Situation als Realisation derselben Absicht erprobt. Gerade dieses Verfahren führt zur Erkenntnis, dass bestimmte Intentionen wohl doch bestimmte Schreibformen nahe legen.